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Uwe Tellkamp:
Der Eisvogel
Berlin: Rowohlt-Berlin Verlag GmbH 2005, 318 Seiten
ISBN 3-87134-522-9
" ... man kann nicht handeln. Man muß schwatzen."




Arbeitsloser Philosoph mit Wut im Bauch trifft Weltverbesserungsschnösel aus besseren Kreisen, sympathisiert kurz mit dessen radikalen Ideen zur Gesellschaftsoptimierung und erschießt ihn schließlich. So könnte man Uwe Tellkamps zweiten Roman Der Eisvogel kurz und schmerzlos zusammenfassen. Das Ganze klänge ein bisschen nach Dan Brownschem Verschwörungskrimi, Opus Dei - Sektiererei und den barocken Fantasien früher Rammstein-Videos, welche alle miteinander selbst wieder auf Vorbildern fußen, die nie Vorbilder im Sinne von Urbildern waren, sondern Echos, die auf Echos von Echos antworteten. Etwas höchst Unselbstständiges also.

Doch verlangen wir nicht Originalität im dritten Jahrtausend nach Christi. Natürlich spukt ein bisschen Castorp/ Naphtha im Verhältnis von Tellkamps Wiggo Ritter und Mauritz Kaltmeister (Zwei Namen, die an sich schon verboten gehörten!). Und wer will - bitte schön! -, mag sich auch liebend gern an Faust erinnert fühlen, ausgesetzt den brennenden Fragen seiner Zeit, geführt von einem Versucher, der klug zu argumentieren versteht, auch wenn er nicht immer Recht hat. Alles okay, alles erlaubt, alles herausspürbar aus einem Roman, der sich dem Unbehagen an der deutschen Gegenwart verschrieben hat, ohne diesem Gefühl, welches Tellkamp und seine Helden sicher mit nicht wenigen teilen, ein wirklich reales Gegengewicht in einem Gedanken, einer Vision, einem praktikablem Programm verleihen zu können. Nein: Der Eisvogel bekämpft das Unbehagen am Heute mit einer Flucht in die (Neo-) Romantik. Der Herrschaft des Mittelmaßes, die er konstatiert, setzt er eine Gegnerschaft aus wohlmeinenden Industriellen und pseudointellektuellen Anwälten, Ärzten und ähnlichen Spinnern gegenüber, die unterm Strich auch nichts anderes sind als gutsituierte Schwätzmaschinen. Vielleicht liegt der Roman damit in einem Trend. Aber ist windschnittige Literatur a priori gute Literatur?

Dabei hat Tellkamp in den Seitensträngen seiner Handlung Material angehäuft, welches mehrere andere und - voraussichtlich sogar - bessere Romane locker tragen könnte. Perlen ätzender Mediensatire glänzen da auf, ohne dass sie geborgen würden. Deftige Akademikerschelte klingt an, aber sogleich auch wieder ab. Und über die Arbeitslosigkeit und wie sie den Menschen von innen her zerstört, finden sich bedenkenswerte Worte. Aber das alles dient nur als Garnitur, Beilage, Zierwerk. Denn Tellkamp will nicht auf die Nebenschauplätze oder was er dafür hält, ihn zieht es in die vorderste Linie. Seine Kritik gilt dem Ganzen, und unter dem macht er es nicht.

Allein der 1968 in Dresden geborenen Autor, um den man im Moment im hiesigen Feuilleton soviel Trara macht wie um keine zweite Gestalt aus der Kunstszene, kann eines wirklich fabelhaft. Er kann schreiben. Und komponiert ist, was inhaltlich im Eisvogel viel zu kolportagehaft daherkommt, tatsächlich auf's Feinste. Da ist ein Stimmenchor am Weben, eine Perspektivverschiebungskunst am Hin- und Her- und Auf- und Abblenden, ein Wortjongleur am Metaphernfinden und Symbolisieren, der seinesgleichen sucht. Da gibt es eine Rahmen- und eine Binnenhandlung, eingestreute Zeugenaussagen, wunderbare Aufzählungen und sogar - auf Seite 124f. - die brillante Beschreibung des eigenen Stils, wie der Roman ihn pflegt: "... er spann wahre Satzlianen, ausschweifende, komplexe, reiche Perioden; aber es wollte lange kein Raum entstehen, die Sätze, die man las, glichen zersplitterten und wieder gekitteten Blumenvasen, man hatte den Eindruck, daß die Scherben nicht in der regelrechten Ordnung zusammengefügt waren ..." Und doch: wozu das Ganze? Der Auftrieb der Mittel und Mittelchen? Das Geklirre und Gerassel und Gekeuche und Gejauchze? Der hohe Ton? Die Raffinesse?

Der Eisvogel hat mir - ehrlich gesagt - kein gutes Gefühl verursacht, auch weil er völlig ohne Lächeln geschrieben zu sein scheint. Die Kurve, die Freund Wiggo schließlich gerade noch kriegt, wirkt nicht sehr überzeugend. Was ich zu spüren glaube, ist die kalte Faszination am Kaputtmachen, die über vielen Passagen schwebt. Doch Zerstören wofür? Für einen "Ordens- und Kastenstaat", ein Ständegebilde, wie es den am Starnberger See in nobler Runde versammelten Aristokraten vorschwebt? Ist das tatsächlich die Lösung? Auch der Roman verneint das, indem er seinen suchenden Helden am Ende den Versucher Mauritz Kaltmeister töten lässt. Doch diese Tat aus momentaner Einsicht beseitigt nicht die ungute Stimmung in einem Land, in dem, mit Tellkamps Worten, "die Demokratie nicht funktioniert."

© 2005 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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