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(Heft 1/1997)

Thorsten Becker:
Schönes Deutschland. Roman
Berlin 1996, 186 Seiten
ISBN 3-353-01068-8
Die Restauration der DDR im Jahre 199*




Im Jahre 199& wird die DDR wiederhergestellt. Honecker landet in Tegel, schreitet "winkend die Gangway hinab", und die "Konterkonterrevolution" läuft. Alsbald sieht man die Pornoläden brennen. Aus dem Straßenbild werden die Westautos entfernt. Und die Szenekneipen zeigen Flagge. Die mit Hammer und Sichel, versteht sich. Wer noch Bilder von den einstigen Parteigrößen hat, kramt sie hervor. Irgendwo in Berlin wird auch geschossen. Ansonsten aber ist man froh über die Rückkehr zu law and order. Denn so richtig wollten die Landschaften nicht blühen. Die Kunst verfiel, weil sie sich nur noch an sich selber rieb. Dem Ossi ging der Wessi auf den Geist, und umgekehrt. Nun ist Schluß. Nun ist wieder Vollbeschäftigung. Unverbrüchliche Freundschaft. Brigadetagebuch. Aber die Banane darf bleiben. Wie so manches andere auch. Denn für die Ökonomie des neuen alten Staats ist Kurt Biedenkopf verantwortlich. Und der ist ein Gewitzter.

So weit, so gut. Thorsten Beckers Fiktion einer Rückkehr zu deutscher Zweistaatlichkeit baut auf in der Luft liegende Ressentiments und ist deshalb nicht unaktuell. Allein der Autor will mehr. Und das bekommt seinem Roman keineswegs. Läßt ihn unentschieden hin- und herpendeln zwischen Zeitsatire und kruder Prophetie, Schlüsseltext und Medienschelte, hellsichtiger Ursachenforschung für disharmonisches Zusammenwachsen und dunklem Drang zur Demaskierung von Geschichte als Domäne derer, die sie sich leisten als fünfte Kolonne eigener Bedeutungssteigerung.

Doch zurück. Denn wenn im Osten sozialistische Verhältnisse reanimiert werden, kann das die Altbundesländer nicht unbetroffen lassen. Dort steht man allerdings diesmal vor einer weitaus schwierigeren Aufgabe. Mit der Ausstrahlung von Glanz in die öden Landschaften jenseits der Mauer ist es nicht mehr getan. Da existiert nämlich inzwischen ein hausgemachtes "Westfernsehen", das dem echten in nichts nachsteht. Und auch die wichtigsten Presseerzeugnisse zirkulieren emsig fort. Es sind Eigenproduktionen, an denen nur der Titel noch stimmt. Aber das fällt nicht weiter auf. Und weil in ihnen vom Einmarsch der Serben in München die Rede ist, akzeptiert der ängstliche Neu-DDR-Bürger sogar den Bau eines modernen zweiten Schutzwalls aus durchsichtigem Material. Die Allianz aus Karl-Eduard von Schnitzler, dem Erfinder, und Volker Schlöndorf, dem Verfilmer westlichen Greuellebens, leistet ganze Arbeit. Und die Reiselust des Ostvolks sinkt rapide.

Wo so viel Simulation am Werk ist, wer wollte ihr mit Berufung auf Wirklichkeiten begegnen. Deshalb erweist sich auch der Westen des Thorsten Becker als fingiertes und fingierendes Gebilde. Hier ist man übereingekommen, den Staatsstreich der Altkommunisten zu ignorieren. Im Schwange ist ein Geschichtsbild, das die DDR ganze vier Jahre existieren läßt, von 1949 bis zum 17. Juni 1953. Da wurden die Neuerer vom Volkszorn hinweggefegt. Und wer danach noch glaubte, in einem Land zu leben, das sich als sozialistisch verstand, ist einer Fernsehserie aufgesessen. Leidet an Wahrnehmungsstörungen und muß deshalb innerhalb geschlossener Anstalten therapiert werden. In einem solchen "Institut für Wahrnehmungsforschung" nahe Köln endet auch der Roman Schönes Deutschland. Dort sitzen seine Helden ein, ein Schauspieler und dessen Geliebte. Beide den östlichen Wirren entflohen. Sie, weil sie die Freiheit, er, weil er sie liebte. Nun sind sie vom Regen in die Traufe gekommen. Durchschauen das Spiel hier wie da und müssen sich doch entscheiden, die organisierte und penibel überwachte Blindheit des einen Deutschlands für das andere mitzumachen. Einer medial hergestellten Wirklichkeit Glauben zu schenken, obwohl ihre Erfahrungen davon abweichen. Aber Realität scheint nicht mehr zugelassen, wo das Bild der Welt sich aus den Fernsehprogrammen von 248 Sendern zusammensetzt.

Beckers Ich-Erzähler bezieht seine scheinbare Geschichtsmächtigkeit, die Fähigkeit also, gegenüber einem Zeitalter der Fiktionen die Übersicht und Oberhand zu behalten, Simuliertes und Tatsächliches scheiden wie bewerten zu können, aus der Tatsache, daß ihn sein Erfinder in der Zukunft leben läßt. Im Jahre 2048 blickt er von Mexiko aus über den Großen Teich auf ein Europa, das zur einen Hälfte unter chinesischer, zur anderen unter brasilianischer Kuratel steht. Ein knappes halbes Jahrhundert nachdem das Wort "Wahnsinn" inflationär umlief und die politischen Ereignisse in der Alten Welt sich überschlugen, verfolgt ein Augenzeuge des deutschen Dilemmas das Aufkommen von romantischen Strömungen in der Historiographie der neuen Weltreiche mit Mißbehagen und entschließt sich, zur Feder zu greifen. Vor allem das "Reden vom schönen Europa, vom schönem Deutschland, vom unteilbaren Deutschland usw." ist ihm suspekt, und er konfrontiert ein aus Büchern und Fernsehsendungen gewonnenes Welt- und Zeitbild mit den eigenen Erinnerungen, um der Nachwelt die Wahrheit vor Augen zu führen.

Das ist kein neuer, aber ein schöner Einfall, schlägt er doch zwei Fliegen mit einer Klappe. Ermöglicht es einerseits, die hier ungute, da offensichtlich gleichgültige Stimmung angesichts einer sich gewaltig verzögernden Lebensangleichung in Ost und West drastisch zu bebildern und hypothetisch die Symbiose der so unterschiedlichen Landesteile wieder zu lösen. Und verweist andererseits darauf, wie fragil und mutmaßend auf Quellen angewiesene Geschichtsschreibung überhaupt ist, wie formbar Geschichte als Material erscheint, "aus dem sich die jeweils Herrschenden in aller Freiheit zimmerten, was sie für ihre Einrichtung benötigten".

Thematisch könnten diese beiden Stränge ein Buch von 180 Seiten durchaus tragen. Aber Schönes Deutschland soll - ich habe eingangs bereits darauf hingewiesen - auch noch als kenntnisreicher Theaterroman goutiert werden. Sein Rückschau haltender Held nämlich war einst am Berliner Ensemble beschäftigt. Er gab den Ui. Er gab den Baal. Er gab sich Mühe mit Heiner Müller, den Thorsten Becker als Fritz Meier figurieren läßt, während eine ganze Reihe weiterer Personen der Zeitgeschichte unter eigenem Namen durch den Text paradiert. Aber der wird dadurch weder aufschlußreicher noch besser, daß er die Bühne als Abbild der Gesellschaft ins Spiel bringt. Er verzettelt sich nur mit seinen Anspielungen auf reale Geschehnisse, mit reichlich ausgestreutem Hintergrundwissen über Vorgänge, die einen Leser, der das Buch nicht als Führer durch die Intrigenlandschaft BE zu nutzen gedenkt, sondern als kritischen Beitrag zur aktuellen deutsch-deutschen Situation in Anspruch nimmt, mäßig interesssieren dürften.

© 1996 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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