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Die aktuelle Rezension
(Oktober 2008)

Thor Kunkel:
Kuhls Kosmos.

Berlin: PULP MASTER 2008
333 Seiten
ISBN 978-3-927734-41-8
Discographie: Ein Spiel




Das im Volksmund Kamerun genannte Gallusviertel der Stadt Frankfurt, aus dem auch Thor Kunkel stammt, ist die Heimat von Anton Kuhlmann, Sonnfried Lattmann und derem Freund Mario, genannt Rio Bravo. Die drei dealen mit Drogen, verscherbeln Waffen, lassen ultracoole Sprüche ab und versuchen alles, um nicht ins Leben jener Normalos abzugleiten, deren Horizonte mit Job, Familie, Auto und Bausparvertrag zugestellt sind. Das Trio hasst alle, die "tagsüber Mäuse machen und nachts den Muschis nachstellen". Doch von irgendetwas müssen natürlich auch sie leben. Im Übrigen schreibt man die Siebziger und Disco ist in.

Kunkels neuer Roman ist ganz nah dran an seinen jugendlichen Helden. Zeigt ihren grellen Hass auf eine Welt, die sie schon bei ihrem Eintritt auf ein Gleis geschoben hat, das ins Nichts führt. Und die ihre überschüssigen Energien abblockt, indem sie Wege vorschreibt, die allein zu Heil und Glück führen. Dagegen begehren Kuhl und die anderen auf, doch auf die Reihe bekommen sie nichts. Der einsame Alte, den sie nach tagelanger Observation seiner Wohnung für tot halten, steht plötzlich vor ihnen, als sie die Zimmer nach Barem durchwühlen. Und ein Kaufhausdiebstahl endet beinahe tödlich, weil der angemietete Wachdienst keinen Spaß versteht.

Da braucht es dann letzten Endes doch ein ganz großes Ding. Nach dem liegen freilich zwei Tote in einer Frankfurter Tiefgarage und der coole Kuhlmann muss die Flucht nach Übersee antreten. Thor Kunkel hat das Ganze übrigens schon einmal beschrieben - in seinem Romandebüt Das Schwarzlicht-Terrarium aus dem Jahr 2000 auf fast 600 Seiten. Nun führt er es in einigen Kapiteln weiter, die in Nassau auf den Bahamas spielen und einen zu Geld gekommenen Anton Kuhlmann zeigen, der sich mit den Insignien des Reichtums schmückt, doch letzten Endes seinem Leben, auch wenn er es ironischerweise "das Leben, wie es sein sollte" nennt, immer noch nicht allzu viel abzugewinnen vermag.

So geschlossen wie Kuhls Kosmos ist Kunkels Romanwelt übrigens allemal. Selbst in dem Skandalbuch Endstufe, 2005 nach der den Eklat einleitenden Ablehnung bei Rowohlt im Berliner Eichborn-Verlag erschienen und von nahezu allen deutschen Feuilletons aufs Genüsslichste verrissen, treibt sich ein Vorfahr jenes Frankfurter Chemielaboranten Fußmann herum, der für Kuhl, Rio und Sonny den Stoff mixt. Ganz abgesehen davon, dass auch Kuhls Kosmos die ganz großen Gewährsleute als Stichwortgeber liebt. War Das Schwarzlicht-Terrarium "in Erinnerung an Stanley Kubrick" geschrieben worden und mit Motti von de Sade bis Celline gespickt, widmete Kunkel die Endstufe unter anderen Jesus, Nietzsche und Mohammed. Diesmal werden Shakespeare, Zugräuber Ronny Biggs und - kleine Provokation am Rande - Erwin Guido Kolbenheyer zu Zeugen der Anklage gemacht. Von Boney M. mal ganz zu schweigen.

Und dennoch ist Kuhls Kosmos ein ganz eigenständiges Buch geworden. Eines mit Humor und grimmigem Ernst. Ganz entschieden gegen jede Art von Zeitgeist verfasst - damaligen wie heutigen - und mit seinem Hang zu gallig-polemischen Rundumschlägen wahrscheinlich wieder nicht jedermanns Sache. Man muss seine Vorgänger nicht kennen, um es zu lesen. Was wesentlich ist, holt der Text über Rückblenden herein und in einem zusätzlich installierten Rahmen rund um die Handlung, die zu einem Teil auf den Bahamas, zum anderen in Frankfurt spielt, kommentiert ein Polizeikommissar aus der Mainmetropole die zurückliegenden Ereignisse noch einmal zusätzlich. Freilich vermögen auch seine gut gemeinten Randglosssen nur wenig Licht in den wahren Ablauf der Dinge zu bringen. Und wenn er in einem über 30-seitigen Anhang die penibel im Nachlass des verstorbenen Rio Bravo gefundene Plattensammlung auflistet - von APOLLO bis WITCH QUEEN -, dann ist er zwar auf ein Zeichensystem gestoßen, das Auskunft geben könnte über die Sehnsüchte und Wünsche aller in den Fall Verwickelten, doch zu entschlüsseln vermag er es nicht. Discographie: Ein Spiel.

Kunkels Roman beginnt auf einer Beerdigung und endet in typisch kleinbürgerlichem Ambiente. Als eine handelnde Person tritt in beiden Interieurs der dritte jener einstigen Freunde auf, Sonnfried Lattmann oder einfach Sonny. Mit ihm sind wir in der tristesten Realität angekommen, bei alten Säcken, Glatzen und Verdauungsbeschwerden. Und dem beruhigenden Blick ins Goldfischglas. Da, wo halt einmal alle enden, wenn die Diskokugel sich nicht mehr dreht und strahlt und sie dennoch weiterleben müssen.



© 2008 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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