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Die aktuelle Rezension
(Mai 2003)

Thomas Brussig:
Leben bis Männer
Frankfurt/ Main: Collection S. Fischer 2001, 96 Seiten
ISBN 3-596-15417-0
Alles Fußball oder was?




Wenn ein Autor ein-, zweimal mit seinen Büchern überzeugt hat, entsteht eine Erwartungshaltung. Im umgekehrten Fall übrigens auch. Man glaubt zu wissen, wie und womit es weitergeht. Und kann es meist kaum aushalten. Ja, wie lang braucht der denn, hört man sich fragen. Bin ich, sein treuer Leser, ihm denn ganz egal? Ich weiß doch längst, was kommen wird. Was einzig kommen kann und muss nach dem, was kam.. Nun kommt es nicht. Was ist denn los?

Ja, so geht das. Und vielleicht wäre beiden Seiten - der einen, die (fort-) schreibt, und der anderen, die (weg-) liest - erst wirklich geholfen, wenn man da aufhörte, Geschichten zu erfinden, und sich hier die Geschichten, die man haben will, selber erzählte. Aber wer will das durchsetzen in dieser freien Welt?

Was bleibt, ist deshalb unvollkommen. Und im Lichte dieser Erkenntnis wird man mich vielleicht verstehen, wenn ich sage: Die Geschichte meiner Brussig-Lektüren ist eine Geschichte enttäuschter Erwartungen. Freilich, irgendwie war es vorhersehbar. Konnte man wirklich annehmen, jener gewaltige Glückshormonausstoß, der sich beim Lesen von Helden wie wir einstellte, würde sich in regelmäßigen Abständen wiederholen? Wohl kaum. Und doch hat man es heimlich gehofft. Play it again, Tom, hat man gedacht. Aber nichts war.

Und so vertraute ich den Seiten der Thüringischen Literaturzeitschrift namens PALMBAUM vor knapp zwei Jahren (Heft 1/ 2000, S. 77 ff.) an, das "Buch zum Film" Am kürzeren Ende der Sonnenallee sei in der Tat und ganz titelgerecht dünner als erhofft. Allerdings kompensierte sich mir damals diese beklagenswerte Schmalbrüstigkeit zu einem gewissen Grade durch den Umstand, dass ich mich und mein Vergangenes hier besser wiederfand als in irgendeinem anderen Erzähltext der Jahrtausendwende. Doch war ich wirklich Brussig-hungrig seinerzeit, und die paar Brocken, die er mir gnädig zuwarf, reichten nicht vorn und nicht hinten. Ach, hätte ich da meine Erwartungen bloß herabgestimmt!

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber von einem neuen Buch erreicht mich immer zuerst der Titel. Manchmal ist das schon genug. Meine Neugier ist befriedigt. Leben bis Männer hielt ich zunächst nicht für die ganze Überschrift. Irgendwo auf der Strecke vom Verlag zu mir waren Reibungsverluste aufgetreten, hatten sich Satzglieder und ordnende Zeichen verabschiedet unter Zurücklassung einer Chaoswortgruppe, aus der ich nicht schlau wurde. Leben bis Männer - was sollte das heißen? Dann sickerte glücklicherweise durch, es ginge in diesem Text, der in einem Echoraum mit den Büchern des großen Patick Süskind stünde, um Fußball. Und da begriff ich es. Aber gut fand ich es trotzdem noch lange nicht.

Allein ich bin bekennender Fan. Und weiß, was man mit Fußball alles machen kann. War nicht der FC Carl Zeiss Jena jüngst in die Amateuroberliga abgestiegen und dennoch - dank eines genialen Fan-Reporters - eines der letzten großen Themen der Hamburger ZEIT geblieben? Ordnete sich nicht das Auf und Ab meines eigenen Lebens viel sinniger und stimmiger, wenn ich es in Zusammenhang brachte mit der Chronologie all jener Jahre, in denen Fußballgroßereignisse auf dem Plan gestanden hatten? Und denke ich nicht, wenn ich an meinen Vater zurückdenke, zuerst immer und nahezu zwanghaft an seine breite Hand, die mich über die Wurzeln eines knappe 300 Meter steil, dann immer leichter ansteigenden Waldweges hinweg zum Greizer Tempelwaldstadion zog?

Wenn mir also jemand etwas über Fußball erzählt, höre ich zu. Ich bin auf Mythen gefasst, nehme aber auch Märchen in Kauf. Niemals winke ich geringschätzig ab, denn das hat kein Spiel verdient, nicht einmal das schlechteste. Und so durfte sich Thomas Brussig meiner Sympathie ziemlich gewiss sein, als er sich daranmachte, anhand der Erinnerungen eines kauzigen Fußballtrainers über das zu schreiben, worüber er immer schreibt.

Leben bis Männer ist ein Monolog. Knapp einhundert Seiten lang - die aus gemein-ökonomischen Gründen nur zur Hälfte bedruckt sind, oben und unten findet sich mehr als genug Raum für feinsinnige Glossen - teilt sich in ihm ein Zeitgenosse mit, der sein Leben dem Fußball gewidmet hat. Und der Leser begegnet ihm dort, wo sein Arbeitsplatz ist: auf dem Acker. Zu Beginn des Textes taucht er auf mit einem Netz voll Spielgeräten und seiner Trillerpfeife. Und, nachdem er sich ausgiebig geäußert hat, verschwindet er wieder. Dazwischenr regnet es leicht. Insgesamt ist das alles andere als spektakulär, aber im Fußball fällt auch nicht jeden Tag ein Wembley-Tor. Und oft verbirgt im Ephemeren sich ja tatsächlich ein Kommentar zum großen Welttheater.

Hier leider nicht. Thomas Brussig läßt seinen Helden schwadronieren über Gott und die Welt. Dass das streckenweise amüsant ist, will ich nicht in Abrede stellen. Aber es ist auch nicht so neu. Und je länger man dem Selbstgespräch folgt, umso ratloser wird man. Weiß nicht, wo hinter dem Spaß der Ernst sich verbirgt. Oder gibt es den gar nicht?

Letzteres mag ich nicht unterstellen. Bei aller Launigkeit existieren durchaus Anzeichen dafür, dass auch Brussig den Fußball als ideales Transportmittel brauchen möchte. Aber welcher Art ist die Konterbande, die des Trainers Redestrom mitspült? Geht es um die Unvollkommenheiten des Führens und Geführt-Werdens? Dreht es sich vielleicht gar ums Verführen? Oder hat sich der Autor einfach - darin seinem Protagonisten nicht unähnlich - hineingleiten lassen ins muntere Monologisieren und allweil gehofft, bei seinem Sprachtalent käme am Ende schon etwas heraus? Etwas Bedeutendes gar? Am einleuchtendsten fände ich es noch, wenn er sich eine Satire auf die Zeitkrankheit des Über-alles-Redens mit ihrer natürlichen Folge - dem Alles-zu-Tode-Reden - vorgenommen hätte. Etwas im Bernhardschen - Gott hab' ihn selig - Sinne richtig Zorniges, dem man den Zorn allerdings erst anmerkt, wenn es zu spät ist. Aber zu spüren bzw. an Signalen, die der Text verstreut, zu merken ist auch hiervon nichts.

Der hier 96 halbe Seiten lang spricht, könnte auch zehn Seiten sprechen oder 196. Nichts an seiner Rede scheint notwendig. Nicht einmal die Tatsache, dass der Übungsleiter lauthals um seinen Mittelstürmer Heiko bangt, der eben als Mauerschütze verurteilt wurde. Oder liegt hier die Brisanz? Pocht der Text auf eine Normalität jenseits des Systemischen, die auch Opfer fraglos akzeptiert? Ist der Trainer des Klubs mit dem bezeichnenden Namen "Tatkraft Börde" ein Vertreter der Spezies Mensch, die jede Wende unangetastet übersteht, weil nur das uneigentliche Leben Wenden wirklich kennt? Lassen wir das viele Fragen. Kehren wir besser zum Ausgangspunkt unserer Überlegungen zurück. Dort ging es um Erwartungen. Ich habe inzwischen keine mehr. Das ist freundlicher gemeint, als es klingen mag. Denn es steckt auch eine Furcht dahinter. Doch die bezwingt, wie alles andere, die Zeit. Brussig sollte sich genug davon nehmen. Diesmal sind wir nicht ungeduldig. Diesmal drängeln wir nicht. Diesmal wollen wir nicht wissen, was kommt, selbst wenn wir es ahnen. Diesmal lassen wir uns überraschen ... ja, so soll es sein ...

© 2003 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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