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Die aktuelle Rezension
(Juni 2009)

Tanguy Viel:
Das absolut perfekte Verbrechen.

Berlin: Verlag Klaus Wagenbach
2009, 152 Seiten
ISBN 978-3-8031-3221-5
Der kleine Traum vom großen Coup




Natürlich ist es nur ein schöner Traum - das absolut perfekte Verbrechen. Aber er wird gern geträumt. Vor allem von jenen, die nicht die geringsten Voraussetzungen zu seiner Verwirklichung besitzen. Und natürlich von uns, den Lesern, die wir uns nach Perfektion sehnen auch in einer Welt, zu der wir in der Regel nur Zugang über ihr verfremdetes Abbild in Literatur und Film haben.

Wie wäre es zum Beispiel, wenn man ein stark frequentiertes Casino am Silvesterabend überfiele und - Achtung, aufgepasst! - die sicher nicht kleine Beute mit einem ferngesteuerten Heißluftballon abtransportierte? Prima Idee, sollte man denken - hinein käme man wie ein Gast und nach dem Coup müsste man sich nicht mit Taschen voller Geld den Fluchtweg freischießen. Keine Spuren. Reduzierter Stress. Maximale Gewinnaussichten.

Pierre - Tanguy Viels Ich-Erzähler in dem kleinen Roman Das absolut perfekte Verbrechen -, sowie seine Freunde Marin und Andrei, drei Nachwuchsganoven aus einem kriminellen Clan, der an der nordfranzösischen Küste sein Unwesen treibt, dürfen stolz auf diesen Plan sein. Zumal ihn der "Onkel", unbestrittene Autorität der "Familie", nicht nur billigt, sondern in den höchsten Tönen lobt. Als es dann gilt, die Sache umzusetzen, hat sich der alte Experte freilich bereits ins Jenseits verabschiedet. Und so kommt es, wie es kommen muss und sicher auch mit ihm gekommen wäre.

Ungefähr bis zur Hälfte des Buches lässt sich Viels Erzähler nicht in die Karten schauen. Dann merkt man plötzlich, dass er das zu Erzählende weitaus raffinierter zu arrangieren sich anschickt, als eingangs zu vermuten war. Aus einer chronologisch braven Nacherzählung des Verbrechens bricht er zu einem Zeitpunkt aus, an dem noch die reinste Vorfreude bei allen Beteiligten herrscht - außer den drei "Familienangehörigen" sind Jeanne, die schöne und geheimnisvolle Frau Marins, sowie Lucho, der das technische Know-how managt, mit von der Partie. Plötzlich wechselt die Perspektive ohne Vorankündigung. Die Tat selbst wird schon nicht mehr beschrieben, stattdessen eine vom Richter angeordnete Rekonstruktion des Überfalls. Und augenblicklich ist klar: Schiefgegangen!

Das Warum liefert der Roman nach. Es unterfüttert ein Gefühl, das den Leser von Anfang an beschlichen hat. Der Rest - das letzte Viertel des Buchs - spielt 7 Jahre später. Nach so langer Zeit haben sich die Gefängnistore für Pierre, den einzigen, der gerichtlich zur Verantwortung gezogen wurde, geöffnet. Nun nimmt er Rache an jenen, die ihn so lange schmoren ließen.

Das absolut perfekte Verbrechen weiß seine Geschichte, die eigentlich nicht mehr ist als die zigste Wiederholung eines alten Stoffes, zu erzählen. Es nähert sich seinen Figuren aus der Halbdistanz, verfolgt kalt und ohne Wertung ihr Tun. Trotzdem sind sie einem nicht gleichgültig, Pierre, Marin und die anderen, geht er einem nahe, ihr kleiner Traum vom großen Glück, der ausgeträumt ist, ehe er noch recht beginnt. Schon in der Eingangsszene - Pierre holt Marin vom Gefängnis ab, in dem der drei Jahre für ein vorangegangenes Verbrechen gesessen hat, ohne dass ihn auch nur einer aus seiner Gang in dieser Zeit besuchen kam - ist der weitere Handlungsverlaufs atmosphärisch spürbar. Dass es nach dem Casino-Überfall Pierre ist, der in den Knast wandert, variiert nur das immer gleiche Schema - die Radikalität seiner Rache, gelegentlich inszeniert wie ein guter Film von Jean-Pierre Melville mit rasanten Autojagden auf gefährlichen Küstenstraßen bei Nacht, beendet jenes immer wieder ins Scheitern führende Hoffen auf den Coup der Coups, nach dem man sich zur Ruhe setzen könnte. Zurück bleibt ein bisschen Wehmut bei einem desillusionierten Mann, der seinen Weg allein weitergehen muss. Ohne sich noch einmal umzudrehen, versteht sich.



© 2009 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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