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PALMBAUM
(Heft 1/1999)

Stephan Krawczyk:
Bald. Roman
Berlin 1998, 361 Seiten
ISBN 3-353-01138-2
Die Macht und die Sprache




Stephan Krawczyk hat im Jahre 1996 ein ganz wunderbares Buch vorgelegt. Damals war ich mir (vgl. PALMBAUM, Heft 3/ 1996, S. 72 - 75) - was selten vorkommt - sogar mit dem SPIEGEL einig, und las Das irdische Kind als den Versuch, ein poetisches Terrain abzustecken, aus dem uns allen Identität zuwachsen könnte: die im Regionalen verwurzelte Kindheit samt ihren existentiellen Problemen, Geheimnissen und Bedrückungen. Auf diese Weise - dachte ich - sollte es weitergehen. Mit Geschichten aus einer Vergangenheit, wo das Kleine groß, das große Ganze klein und sehr weit weg war. So daß sich unvermutet Raum zum Atmen und Leben ergäbe und auch eine Rechtfertigung dafür, was jeden auf seine Weise hier aufwachsen und bleiben ließ.

Allein der nun erschienene zweite Roman des Autors ist ungleich ambitionierter, vielleicht zu ambitioniert. Er beschreibt die Konfrontation eines auch als Erwachsener naiv gebliebenen, verspielten Helden mit der Macht in seinem Land, ein Kräftemessen, das er weder ganz verstehen noch je gewinnen, sondern nur aushalten kann.

Roman Bald ist ein Taugenichts. Als Tagträumer und Schlehmil steht er in der Tradition jener romantischen Helden, auf die das bürgerliche Erwerbsleben keinerlei Anziehungskraft ausübt. Doch zum Glück besitzt er eine lebenstüchtige Frau und einen Schwiegervater, der sowohl pflichtbewußt als auch handwerklich geschickt ist. So kann er sich vorbeimogeln an Arbeit und Verantwortung, tun, was ihm einfällt, lassen, was ihn stört. Und weil er mit seiner skurrilen Existenz lediglich an den Nerven der ihm Nahestehenden zerrt, dem Gemeinwesen ansonsten aber eher desinteressiert gegenübersteht, mischt dieses sich vorerst auch nicht in sein Leben ein. Er wird in Ruhe gelassen, sein Anderssein im Abseits der Provinz scheint tolerierbar, weil es nicht provokativ an Recht und Ordnung rüttelt, kein weithin sichtbares Zeichen setzt, dem entgegengesteuert werden müßte.

Allein das Idyll, welches Krawczyk seinem blauäugigen Protagonisten ersinnt, ist beschränkt. Unterm Federbett in seiner Mansarde liegend, grillend im Schrebergartengrün, zechend mit Gleichgesinnten in der Wirtschaft des Örtchens Fehrungen läßt es sich gegenüber allen Anfechtungen behaupten. Jenseits dieser Welt aber wird die Luft dünn für einen Zeitgenossen, zu dessen Dasein auch die Leidenschaft für ein Spiel gehört, das den harmlosen Sinnsucher in den Augen der Herrschenden zum Punkt im Koordinatennetz einer über das ganze Land verbreiteten, dissidentischen Verschwörung macht, die dort ansetzt, wo man es am wenigsten mag: an der Sprache.

Roman Bald beteiligt sich nämlich am Großen Kanon. Per Post erhält er Wörter und hat sie zu sinnvollen Sätzen zusammenzubauen, um sich dann einmal im Jahr mit Seinesgleichen zu treffen und Lösungen auszutauschen, zu diskutieren über verborgene Bedeutungen, sich zu einigen auf den einen Text, der hinter allen Wörtern lauert. Wer die Absender des subversiven Materials sind, weiß man nicht. Auch über deren eigentliche Absichten, so sie denn jenseits des Spiels mit sprachlichen Partikeln überhaupt verborgene Ziele verfolgen, verbleibt der Leser im Dunklen. Klar ist allerdings nur zu bald, daß diese Art eines geistvollen Müßiggangs an die Grenzen des Erlaubten stößt, weil sie die offiziell geregelte Kommunikation unterläuft, gegen die Sprachhoheit der Regierenden verstößt, indem sie deren Definitions- und Deutungsmonopol in Frage stellt.

Und so hat der Held dieses Romans auf einmal keine Ruhe mehr. Sieht sich umstellt und beobachtet, ausspioniert und verfolgt, verraten von Gleichgesinnten, um des Vorteils einer kleinbürgerlich-gesicherten Existenz wegen allein gelassen in einem Kampf, bei dem es um mehr als die Reinheit eines Spiels geht, das die Mächtigen schließlich an sich reißen, um es besser kontrollieren zu können.

Mit Bald hat Stephan Krawczyk einen politischen Roman geschrieben, der um das Problem kreist, wieviel Opposition ein etabliertes System aushält. Geographisch, historisch und personell verbleibt das Buch soweit im Vagen, daß man es zum einen durchaus als ein Stück Vergangenheitsbewältigung seines Autors lesen kann, diese Lektüre aber nicht unbedingt erschöpfend sein muß. Der Gegner, mit dem es sein Held zu tun bekommt, verfügt über alle Mittel, die Menschen in seinem Einflußbereich klein zu halten. Widerstand bricht er bevorzugt, indem er sich das Fremde aneignet und zum eigenen Gebrauch instrumentalisiert. Funktioniert das nicht, schreckt er auch vor Gewalt nicht zurück.

Daß Roman Bald verantwortungslos in den Tag hinein zu leben vermag, aber sofort attackiert wird, stellt er das herrschende Vokabular spielerisch in Frage, ist in diesem Zusammenhang von nicht geringer Bedeutung. Es verweist darauf, daß jede Art von Wirklichkeit sprachlich konstruiert und befestigt ist. Nicht wer stillschweigend anders lebt ist deshalb der Hauptfeind des Etablierten, sondern wer vernehmbar widerspricht.

Die zirkulierenden Wörterlisten des Großen Kanons stellen eine Bedrohung dar, weil sie ihren Empfängern suggerieren, es gäbe eine (sprachliche) Realität, die erst noch herzustellen sei. Damit aber wird dem, was ist, der Boden entzogen. Krawczyks Roman verdeutlicht dies, indem er die Welt um seinen Helden herum umso surrealere Züge annehmen läßt, je länger dieser allen Eingemeindungsversuchen widersteht. Und wenn Roman Bald schließlich der letzte ist, der unkorrumpierbar an seinem Verlangen festhält, den geheimnisvollen Wörtern einen Sinn außerhalb des alltäglich Erfahrbaren abzuringen, gönnt ihm das Buch eine poetische Schlußvision, in welcher dieser Sinn als ein Versprechen aufscheint, das die Zukunft - auch Balds eigene in Gestalt seines Sohnes - in sich birgt.

Stephan Krawczyks zweiter Roman erzählt davon, wie leicht und bequem es ist, mitzulaufen, und wie schwer und lohnend, das nicht zu tun. Er plädiert fürs Unangepaßte und eine Sprache, die sich die Welt in jedem Moment neu zu erfinden vermag. Vielleicht ist er, in diesem Bemühen, hier und da selbst etwas zu geschwätzig. Nach dem gelungenen Debüt des Autors, der Evokation des Städtchens Weida seiner Kindheit, waren wir gespannt auf mehr. Einen Roman wie Bald erwarteten wir nicht. Auch keinen Roman Bald als dessen Hauptperson. Doch seien wir ehrlich: Wir hatten den Mann einfach festgelegt. Nun hat er die Wörter des Großen Kanons durcheinandergeschüttelt und zeigt sich von einer anderen Seite. Hoffen wir, daß es nicht die letzte ist.

© 1998 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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