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(Heft 4/1997)

Steffen Kopetzky:
Eine uneigentliche Reise. Roman
Berlin 1997, 184 Seiten
ISBN 3-353-01087-4
Mehr ungenau als uneigentlich




Das, Leser, ist ein Roman mit Anspruch. Schon der Untertitel erhebt ihn, von den sieben Teilen des Buches - drei jeweils kürzere Abschnitte umschließen ein zentrales Kapitel von knapp 50 Seiten, überschrieben Die Uneigentlichkeit - nimmt ihn jeder auf seine Weise wieder auf. Und trotzdem hat die Lektüre -bei zugestandenem Staunen zu Beginn, gelegentlichem Amüsement und Hochachtung gegenüber einer Sprache, die aufs Perfekteste ihrem Gegenstand angepaßt erscheint - mich nicht froh gemacht.

Nun stellt das Europa des ausgehenden zweiten Jahrtausends, wird man einwenden, auch nicht unbedingt eine Insel der Glückseligkeit dar. Und wenn eine als Handenzyklopädie auftretende Publikation sich der Grundprobleme des Kontinents anzunehmen verspricht, hat das mit der Erzeugung von Frohsinn wenig zu tun, sondern dient, im Gegenteil, der Katalogisierung von Übeln, die diesem, wenn er denn überhaupt gewünscht werden sollte, im Wege stehen. Wohlgemerkt: Um das Verzeichnen geht es, nicht um den Aufweis von Strategien, die aus der offensichtlich schwierigen Lage herausführen. Denn Enzyklopädien sind keine Gebrauchsanweisungen. Sie sammeln und ordnen Phänomene, Sichtbares und Unsichtbares, setzen miteinander in Beziehung, aber Ratschläge geben sie nicht.

Alles richtig, muß ich erwidern. Und dennoch fühle ich mich mit meiner Identität von Kopetzky nicht einbezogen. Ich gehöre nicht zu jenen herumjettenden Ennuis, die sich durch die Großstädte schwätzen, einen Band Nabokov unterm Arm, melancholisch Thomas Bernhards gedenkend mit all seinem Zivilisationsfrust und den unendlich vielen Wiederholungen in den unendlich langen Sätzen, an die sich auch unser Autor zuweilen mehr als deutlich anlehnt. Nein, noch verwechsle ich Paris nicht mit Madrid, wie sein Anti - Held das laufend tut, erkenne im allmählichen Zerfall Neapels nicht Signale, die sich auch in Wien finden lassen, und in Zürich - in Zürich war ich noch gar nicht. Dafür aber war Steffen Kopetzky nicht in Warschau, nicht in Prag, nicht in Königsberg, ja nicht einmal in Frankfurt an der Oder. Sein Reisender in Sachen Untergang, ein philosophierender Flaneur alter Schule und neuer Begrifflichkeit, wagt sich, wenn er nach Osten ausschweift, maximal bis München und Berlin. Da zieht Europa sich in seinem Kopf die Grenze. Weiter trägt er sein Elend nicht.

Und weil dem so ist, und weil man vielleicht jenseits dieser Demarkationslinie gar nicht verstehen würde, an welchem Leiden Kopetzkys räsonierender Protagonist krankt, was ihn beugt und immerzu von der bevorstehenden Apokalypse phantasieren läßt, schlage ich dem herausgebenden Unternehmen vor, die zweite Auflage dieses Reiseromans nach Nirgendwo zu untertiteln: Handenzyklopädie der Grundprobleme Westeuropas am Ende des 20. Jahrhunderts. Das träfe sauberer, auch wenn es eine Teilung fortschriebe, von der man wünscht, sie würde schnell verschwinden. Dann müßte man sich auch keinen Kopf mehr machen, warum so wenig im eigenen Denken dem gleichen will, was ein bei der Niederschrift des Buches gerade einmal 25jähriger, dem sein Philosophiestudium (gepaart mit Romanistik, was immer zu Verwirrungen führt) das Leben vergällt hat, mit der Geste der Endgültigkeit verkündet. Und überhaupt - Verzeihung Volk & Welt - gehört Eine uneigentliche Reise wohl eher unter jene Kopflastigkeiten, wie man sie beim Suhrkamp liebt.

Man verstehe mich bitte richtig. Ich kann den vorliegenden Roman nicht deshalb so schwer goutieren, weil er ein anderes Erzählverständnis und - verhalten präsentiert als jenes, welches mir lieb und vertraut ist. Es stört mich auch nicht, daß er keine Handlung hat. Wenn es unseren Autoren gefällt, gedankenschwer und so, als wären sie nicht aus Fleisch und Blut, sondern bestünden nur aus vibrierenden Nervensträngen, daherzukommen - bitte schön. Man kann ja erstens andere lesen, und zweitens hat schon Hölderlin Handwerker entdeckt, als er hierorts Menschen suchen ließ, was nicht gegen die Handwerker spricht.

Wenn mir freilich einer begegnet, der mir die Probleme meiner Zeit zusammenaddiert zu einer trüben Schau ins Heutige, und ich stelle, zunächst durchaus interessiert, fest, daß ich mit meinem Zeitverständnis mit ihm und seinem Zeitverständnis nicht konform gehe, obwohl er das unablässig behauptet, werde ich nachdenklich und vermag auch die ästhetische Seite der Sache nicht mehr so unbefangen zu goutieren. Dann nämlich entdecke ich in der deutschen Gegenwartsliteratur eine Tendenz, abseits der Tatsachen und ignorant allem gegenüber, was sich in den letzten Jahren an Umstürzlerischem getan hat, ein Bedeutung und Bedeutsamkeit fingierendes Luftgebilde zu errichten, das nur noch mit seinesgleichen in der Vergangenheit kommuniziert. Wer heute über Europa schreibt, ohne den Osten in seine Gedankenspiele einzubeziehen, schreibt nicht über Europa, sondern über das alte Abendland, eine tatsächlich untergegangene Welt, und wen interessiert das schon.

Damit zum Schluß. Die Literatur der bürgerlichen Moderne ist über weite Strecken eine der Evokation von Langeweile. Ein Schnarchsack wie Oblomow könnte ihre Gallionsfigur sein, wenn dessen Trägheit nicht auch eine Spur Widerstand gegen raffende Geschäftigkeit enthielte. Als Aufbruchstopos ist das Liegenbleiben aber ungeeignet. Kopetzkys Erzähler - raunender Beschwörer belangloser Anekdoten - schließt nahtlos an die aus der Tiefe des 19. Jahrhunderts bis in unsere Tage sich erstreckende Reihe müder Helden an. Sicher hat er andere Gründe, zerstreut zu sein. Gewiß ist er, weil ihm alles auf Knopfdruck zur Verfügung steht, noch ein wenig satter, des Ganzen noch ein bißchen überdrüssiger, noch wunschlos unglücklicher als seine Ahnen und Urahnen. Doch im Grunde erleidet er denselben alten Horror an Beziehungslosigkeit und Orientierungsmangel.

Enzyklopädisch auf den Begriff zu bringen, was ihm widerfährt und stört, ist freilich ein sinnloses Unterfangen. So wie seine Erlebnisse und Begegnungen ineinanderfallen, verwechselbar werden, nichts Herausgehobenes mehr Raum und Zeit strukturiert, dreht sich auch sein Denken unaufhörlich im Kreise um Begriffe, die immerhin auf markante Verluste des einzelnen in der modernen Welt verweisen mögen, mögliche Gewinne für alle aber gar nicht erst zu diskutieren suchen.

Das derart entstehende Europabild ist ein von weit her kommendes. Die schon immer dabei waren, werden sich in ihm vielleicht wieder-, wenn auch nicht erklärt und getröstet finden. Den - zeitweilig - Ausgestiegenen aber hat es wenig zu bieten, was eine freudige Rückkehr lohnte. Es sei denn, sie klammerten sich an den Doppelpunkt, der am Romanschluß steht und auf einen Anfang nach dem Ende verweist. Aber wieviel Hoffnung kann der tragen?

© 1997 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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