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Die aktuelle Rezension
(Dezember 2008)

Serge Joncour:
Ultraviolett.

Stuttgart: Klett-Cotta 2008
173 Seiten
ISBN 978-3-608-93793-0
Idyll auf Widerruf




Ein Paradies zur besten Jahreszeit. Zwei junge Frauen in der Sommerresidenz ihrer reichen Eltern. Die eine - Vanessa - ist verheiratet und Mutter, die andere - Julie - noch zu haben. Man wartet auf den Bruder, Philip, einen Tunichtgut und Kleinkriminellen, der jedes Jahr am 14. Juli ein illegales Feuerwerk auf der kleinen Insel nördlich des Städtchens Paimpol abbrennt und sich dann zwölf Monate nicht mehr sehen lässt. Doch statt seiner steht plötzlich Boris am Pool. Braungebrannt, muskulös und ganz in Weiß. Und jedes Mitglied der versammelten Familie projiziert seine eigenen Sehnsüchte in diesen Mann.

Aber man weiß ja, wie das läuft. Idyllen sind dazu da, um zu zerbrechen. Smarte Jungs haben es meist faustdick hinter den Ohren. Und Familien besitzen sowieso ihre ganz eigenen Geheimnisse, die man als Außenstehender nicht durchschaut. Und so wundert es nicht, dass bei den Chassagnes niemand so richtig wissen will, mit wem man es bei dem plötzlich in ihrer Mitte gelandeten Unbekannten eigentlich wirklich zu tun hat. Er ist ein Internatsfreund ihres Sohnes? Schön, das reicht.

So fangen Geschichten an, die nicht gut ausgehen. Und auch diese - das kann man immerhin verraten - glänzt nicht mit einem Happy End. Aber sie entwickelt, je länger sie andauert, einen umso unheimlicheren Sog. Weil diesem Boris schwer zu widerstehen ist. Wenn er sein Hemd auszieht und die Muskeln spielen lässt, kann weder die verheiratete noch die unverheiratete Tochter ihr Gefallen an ihm und die daran sich knüpfenden heimlichen Gelüste lange verbergen. Der Mutter reibt der Filou galant den Rücken ein und für den Vater bringt er ein seit Jahren nicht benutztes Motorboot wieder in Schwung und weckt damit die Sehnsucht nach den Abenteuern einer lange zurückliegenden Zeit.

Aber er reflektiert auch seine Gegenwart. Und weil Serge Joncour ein mit allen Wassern gewaschener Schriftsteller ist und es natürlich versteht, seine Leser an den Gedanken aller Figuren zu beteiligen, ohne dass deren Umwelt davon etwas mitbekommt, sind wir den sich anbahnenden Konflikten immer um eine Nasenlänge voraus. Wir wissen, dass der Fremde ein Meister in der Verführung von Menschen ist und sich danach sehnt, mit allen sich daraus ergebenden Privilegien an die Stelle seiner wohlhabenden Gastgeber zu rücken. Wir wissen, dass niemand in dieser mit Geld gesegneten, scheinbar rundum zufriedenen Familie, wirklich glücklich ist. Wir kennen die Nöte von André-Pierre, dem Schwiegersohn und Vater der zwei Söhne Vanessas, der schon in seiner Schulzeit immer beiseitestand, wenn die anderen Jungs ihre körperlichen Vorzüge unter der Dusche verglichen. Und wir fürchten nur allzu bald das Schlimmste.

Ultraviolett ist ein geschickt auf unsere Ahnungen setzendes Buch. Boris, sein Held, erinnert an Patricia Highsmith' sich in die gesellschaftliche Upperclass hinaufmordenden Tom Ripley. Auch Woody Allens genialer Thriller Matchpoint fällt einem ein - zudem der durchtrainierte Neuankömmling sich auch im Tennisspiel mit Vanessas eifersüchtigem Mann misst und mittels schierer Kraft triumphiert. Und natürlich ruft die bourgeoise Familienkonstellation Erinnerungen hervor an etliche Kinofilme der Nouvelle Vague, zumal die eines ihrer Hauptvertreter, Claude Chabrol. Joncour freilich spielt nur mit den Versatzstücken der durch solcherart Reminiszenzen im Leser freigesetzten Fantasien. Immer wieder vertraut er auf den Aha-Effekt angesichts von scheinbar eindeutigen Konstellationen, um sämtliche daraus resultierenden Erwartungen eiskalt ins Leere laufen zu lassen. Das ist die Hauptmethode von Ultraviolett, um Spannung aufzubauen. Schade, dass man sie so schnell durchschaut. Aber der Roman ist ja auch nicht besonders lang. Und seine Dramatik verliert er nie. Auch nicht, wenn man endlich die letzte Seite umgeschlagen hat.



© 2008 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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