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Rayk Wieland:
Kein Feuer, das nicht brennt.
Roman


München: Kunstmann 2012
159 Seiten
ISBN 978-3-88897-748-0
Ein "immobiler Globetrotter"




Vor drei Jahren hat Rayk Wieland (Jahrgang 1965) mit der Geschichte um einen jungen Mann namens W., der in den Achtzigern des vorigen Jahrhunderts ins Visier der Stasi geriet, weil er Liebesbriefe von Ostberlin nach München schickte, auf sich aufmerksam gemacht. "Ich schlage vor, dass wir uns küssen" (Kunstmann 2009) war - von der Historie des so genannten "Wenderomans" her gesehen - die Farce, die auf Tragödien häufig folgt. Ein satirischer Epilog auf eine Welt, in der schon das Tragen von bestimmten Hosen zur Vorladung beim Schuldirektor führen konnte, Antennen, die nach Westen ausgerichtet waren, unterm Dach ihren Platz fanden und die Farbe Grau das gesellschaftliche Gesamtbild dominierte. Und es war - 10 bis 15 Jahre vorher undenkbar, man erinnere sich nur an den erbittert geführten Literaturstreit um Christa Wolf, Erich Loests oder Reiner Kunzes Aufarbeitungen ihrer Bespitzelungsaffären oder Wolf Biermanns zornigen Angriff auf Sascha Anderson - ein Buch, in dem man über den östlichen Geheimdienst lachen konnte. Was der aus dem harmlos verreimten Hormonalarm des jungen W. unter Aufbietung klassenkämpferisch geschärfter Interpretationsmethoden alles machte - Markus, Markus!

Nun, in "Kein Feuer, das nicht brennt", ist der Held aus Wielands Debütroman wieder da. Seine Liane, der er einst lyrische Kränze flocht und via Stasi ins Bayerische sandte, lebt inzwischen mit einem anderen Mann, der als Architekt am modernen China mitbaut, in Shanghai. Er selbst hat Ostberlin noch nie verlassen. Und das, obwohl er als Reisejournalist seine Brötchen verdient und für die angesehene "International Geographic Revue" schreibt. Abenteuerliche Geschichten über die erste Golfanlage im kommunistischen Nordkorea, Nashorn-Events in der Kalahari-Wüste und eiskalte Tage im russischen Omsk, dem Gefrierfach des Riesenreichs - W.'s Reportagen rücken jegliche Fremde für den Leser mit Anspruch ganz nahe heran und machen Lust, das Beschriebene mit den eigenen Sinnen zu erleben. Alles ist erstklassig recherchiert, nur nicht vor Ort. Denn W. beschränkt sich, ganz im Sinne Xavier de Maistres, auf das Reisen ums eigene Zimmer und rechtfertigt seine Reportagefakes mit dem Satz: "Ich bin ja nur ein kleines Rädchen in der großen Verarschungsmaschine der Welt."

Aber natürlich geht das nicht ewig gut. Und indem W. genauso auffliegt wie Konrad Kujau 1983 mit seinen Hitler-Tagebüchern oder der Verfasser der frei erfundenen Starinterviews in der Zeitschrift "Neon" 2010, steht er plötzlich vor der Notwendigkeit, sein Leben ändern zu müssen. Und was läge da näher, als nun, da er nicht mehr Reisereporter ist, zum ersten Mal in seinem Leben wirklich zu reisen, von Mauer zu Mauer sozusagen, das nur noch in Fragmenten existierende Berliner Bauwerk im Rücken, die Große Chinesische Mauer als Ziel vor Augen.

Der zweite Roman Rayk Wielands - der übrigens Mitherausgeber des erfolgreichen, auch nicht gerade zum Reisen animierenden Stadtbeschimpfungs-Dreiteilers "Öde Orte" (Leipzig 1998 - 2003) ist - präsentiert seinen Helden jenseits der jugendlichen Naivität, die ihn einst in den Augen seiner hauptamtlichen Kontrolleure zu einer der wichtigsten Federn des lyrischen DDR-Untergrunds geraten ließ. Über die komplette Verkennung der mehr gestammelten denn gereimten Zeilen des liebestrunkenen jungen W. durch einen Überwachungsstaat, der sich seine Feinde letzten Endes lieber selbst erzeugte als zuzugeben, dass er so trist und trostlos war, dass kaum jemand sich überhaupt noch für ihn interessierte, musste sich einst der "Dichter" selbst am meisten wundern.

Zum "immobile(n) Globetrotter" hingegen macht den jetzt ca. Vierzigjährigen seine neue Einsicht in die Beschaffenheit der Welt, in der er nach der Wiedervereinigung angekommen ist. Der Reisereporter, der zu Hause bleibt und "aus 1000 Reiseberichten und Reportagen die 1001. zusammenkomponiert", indem er dafür "ein bisschen Internet, eine Handvoll Reiseführer, Lexika und Literatur, dazu ein paar Telefonate" benutzt, stellt W.'s Reaktion auf die Erkenntnis dar, dass Authentizität eher stört, wo es hauptsächlich um die Herstellung von Realitätssurrogaten zu gehen scheint. Es ist das Guttenberg-Problem, übertragen auf die Sphäre des Marco Polo. "Nicht selbst zu recherchieren, keine eigene Meinung zu haben, nirgendwo hinzugehen und das abzuschreiben, was andere abgeschrieben haben", mit anderen Worten: genauso eine "Korruptionsmaschine, ... Kopiermaschine, ...Karrieremaschine" zu werden wie viele andere - es scheint ein Signum unserer Tage zu sein, in denen Kaminfeuer nicht mehr brennen, sondern nur noch illusorische Wärme über die vielen Bildschirme abgeben, auf denen sie inzwischen irritierend flackern.

"Kein Feuer, das nicht brennt" ist unterm Strich nicht ganz so auf den Punkt geschrieben wie Wielands Romandebüt. Das kam genau zur rechten Zeit und hatte keine Vorbilder. Mit seinem neuen Roman hingegen reiht sich der Autor ein in einen Klagechor, der schon länger zu vernehmen ist. Zwar ist das Buch nicht ohne Witz, treffende Dialoge und ein paar deftige Seitenhiebe auf die schreibende Kollegenschaft - und auch nicht so lang, dass man irgendwann wirklich beginnen würde sich zu ärgern. Die großen Erwartungen, mit denen man es zur Hand nahm, erfüllt es aber leider nicht.


© 2012 by Dietmar Jacobsen/ in: KULTURforum. Das Kulturmagazin Ausgabe 1 / Frühjahr-Sommer 2012, S. 20 f.


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