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Die aktuelle Rezension
(April 2009)

Qiu Xiaolong:
Blut und rote Seide
Wien: Paul Zsolnay Verlag 2009,
379 Seiten
ISBN 978-3-552-05461-5
Shanghais erster Serienmörder




Viermal hat er in deutscher Sprache schon ermittelt - Qiu Xiaolongs Oberinspektor Chen Cao. Doch soviel Zeit, wie er in seinem fünften Fall braucht, um in die Gänge zu kommen, ist dabei noch nie verstrichen. Allein der Mann, der, wenn er denn Betriebstemperatur erreicht, im Laufe eines Tages mehr Licht ins kriminelle Dunkel zu bringen vermag, als alle seine Mitstreiter bei der Shanghaier Polizei zusammen in einer ganzen Woche, hat natürlich Gründe für die Verzögerung.

Zum einen ist er zunächst von höherer Stelle auf einen ganz anderen Fall angesetzt worden. In Boomtown Shanghai schwelt ein Immobilienskandal und Chen soll mit dem ihm nachgesagten Fingerspitzengefühl - und ohne dabei zuviel Schmutz aufzuwirbeln - prüfen, inwieweit die Sache führende Genossen kompromittieren könnte. Zum anderen hat der Oberinspektor, dessen Karriere im Polizeidienst bisher fast zu glatt verlief, bei all den Zukunftsaussichten, die ihn bei entsprechender Führung noch erwarten, nicht vergessen, dass seine wahre Liebe eigentlich der Literatur gilt. Und so macht er sich gerade daran, in einem Intensivkurs an der Shanghaier Universität den Magistertitel zu erwerben, als die ersten Frauenleichen auf den Straßen auftauchen. Dass und wie Qiu es fertigbringt, den Korruptionsfall, die Literaturrecherche und die hektische Suche nach einem Mörder, der pünktlich jeden Freitag zuschlägt, choreografisch unter einen Hut zu bringen, macht Blut und rote Seide allein schon lesenswert.

Desweiteren ist es natürlich die Exotik einer fremden Welt, die in den Bann schlägt. Der Autor, seit 1988 in den USA lebend und lehrend, hat die Ereignisse im modernen China, den Spagat dieses Riesenreichs zwischen Tradition und Moderne, Kapitalismus und Kommunismus, Öffnung nach außen und anhaltender Strenge im Inneren genau im Blick. Und er weiß um die vielen Widersprüche, die die Transformationsprozesse in der fernöstlichen Gesellschaft prägen. Dass er seine Fälle aus ihnen herauswachsen lässt, gibt denen ihre ganz besondere Authentizität. Und sein Leben im amerikanischen Exil erlaubt es Qiu zudem, ohne Rücksichten auf Doktrinen und Richtlinien zu schreiben, also sich genau in dem Punkt frei zu fühlen, in dem sein Protagonist häufig an Grenzen stößt.

Der Mann jedenfalls, der an markanten öffentlichen Stellen Shanghais einmal pro Woche eine junge tote Frau im roten qipao - einem engen Seidenkleid, das, nachdem es lange Zeit als dekadent verpönt war, inzwischen wieder Mode ist in China - ablegt, bis er von Chen in einem raffinierten Gespräch seiner Taten überführt wird, leidet unter seiner und seiner Familie Vergangenheit. Im kulturrevolutionären China der sechziger und siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts sind die Geister beheimatet, die ihn mehr als zwei Dekaden später umtreiben und zur öffentlichen Gefahr werden lassen. Diese Verbindung zwischen jüngerer Geschichte und Gegenwart zu erkennen und den Fall damit intuitiv seiner Lösung zuzuführen, ist keiner besser geeignet als Chen Cao. Denn der Oberinspektor lebt nicht nur ganz bewusst mit den konfuzianischen Traditionen - das Buch ist gespickt mit Zitaten und Sprichworten der entsprechenden Autoritäten -, sondern hat sich auch durch seine nebenberufliche Übersetzertätigkeit mit der in seiner Heimat verpönten Freudschen Psychologie beschäftigt. Deshalb weiß er genau, in welche Richtung er denken muss, wenn Verdrängtes in blutigen Eskapaden wieder ans Tageslicht drängt.

Schön ist der Schluss, der hier natürlich nicht verraten werden darf, aber aufs Beste in die Kultur eines Landes passt, die uns Qiu Xiaolong auf unterhaltsame Weise nahebringt. Ohne zu beschönigen und mit viel Mitleid für diejenigen, die im Auf und Ab der gesellschaftlichen Strömungen und Bewegungen am Wege liegenbleiben. Weil sie sich nicht anpassen wollen und im Gewesenen einen Wert erkennen, der von Bedeutung ist für das, was kommt.



© 2009 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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