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Die aktuelle Rezension
(März 2010)

Polina Daschkowa:
In ewiger Nacht

Berlin: Aufbau Verlag 2010, 452 Seiten
ISBN 978-3-351-03271-5
Moskau kann sehr kalt sein




Olga Filippowa hat Ärger zu Hause und im Job. Dabei ist sie eine von jenen Heldinnen der russischen Schriftstellerin Polina Daschkowa (Jahrgang 1960), die dem Leser sofort ans Herz wachsen durch ihre Kompetenz und Engagiertheit auch im Sozialen. Aber was hilft das, wenn man mit einem Mann verheiratet ist, den man nicht liebt und nur deshalb nicht verlässt, weil zwei minderjährige Kinder ihre Mutter brauchen. Und ist die unbedingte Ehrlichkeit der Psychologin, wenn es um ihre Arbeit geht, in Wahrheit nicht eine eher karrierehemmende Eigenschaft im heutigen Russland?

In ewiger Nacht - im Original bereits 2006 erschienen - besitzt erneut alle Stärken, die den Thrillern der Moskauer Bestsellerautorin nachgesagt werden. Das Buch ist spannend bis zur letzten Seite, präsentiert interessante Charaktere, entwickelt einen filmtauglichen Plot und - für mich bei jeder neuen Daschkowa das Wichtigste - schreckt nicht davor zurück, die Verhältnisse, in denen sich seine Figuren bewegen, kritisch zu durchleuchten. So gibt es auch diesmal wieder Seitenhiebe gegen Korruption und Speichelleckerei, wird der beobachtende Blick nicht nur auf die Villen und Datschen der so genannten "neuen Russen" gelenkt, die natürlich erstklassige Verbrechensorte abgeben, sondern konstatiert genauso aufmerksam die Lebensverhältnisse jener, die im Zuge der Transformationsprozesse der letzten beiden Jahrzehnte als Spreu durch alle Raster fielen. Alkoholismus und Prostitution, Jugend- und Kinderkriminalität, mafiose Umtriebe und Verbindungen aus der Welt des organisierten Verbrechens zu jenen Stellen des Saates, wo Entscheidungen über die gesellschaftliche Zukunft getroffen werden - nichts wird verschwiegen.

Im Kern des Buches aber geht es um den Missbrauch von Kindern. Den hatte schon Daschkowas letzter auf Deutsch erschienener Roman, Das Haus der bösen Mädchen (Aufbau Verlag 2008) thematisiert. Diesmal freilich geht es noch näher und härter heran an dieses Phänomen. Denn die zu Beginn des Buches in einem außerhalb von Moskau gelegenen Wäldchen tot aufgefundene 15-jährige Shenja spielt nicht nur seit Jahren in Kinderpornos mit, sondern wird vom Produzenten dieser gut gehenden Ware auch an interessierte ältere Herren verliehen, die die Mittel besitzen, um sich ihre eigenen pädophilen Träume mit den jungen Darstellern zu verwirklichen.

Geschickt verwebt Polina Daschkowa eine in der Erzählgegenwart schnell voraneilende Handlung mit Rückblicken in die Lebensgeschichten ihrer wichtigsten Figuren, motiviert - im einen oder anderen Fall sicher etwas zu schematisch und klischeehaft - damit deren Handeln, macht aber gleichzeitig auch deutlich, dass das in der Wendezeit aufgeflackerte Hoffnungspotenzial wohl nicht mehr war als ein Strohfeuer. Nach oben geschafft haben es die Wenigsten und die in der Regel dadurch, dass sie altes Herrschaftswissen für einen Neustart benutzten oder meistbietend versteigerten.

Olga Filippowa und ihre heimliche Liebe aus den Tagen gemeinsam verbrachter Jugend, Dima Solowjow, Milizkommissar und gemeinsam mit der Ärztin davon überzeugt, dass man in Shenjas Mörder einen Serientäter vor sich hat, dessen erste Taten bis in die achtziger Jahre zurückreichen, wirken in ihrem ausgesprochen dunklen Umfeld vielleicht etwas zu strahlend. Sie sind die Lichtgestalten in einem Panoptikum aus Psychopathen und Päderasten, denen ein schizophrener Killer den Prozess machen will, der sich auf Missionstour wähnt, in Wahrheit aber nicht weniger an körperlichen und psychischen Deformationen zu leiden hat als seine Opfer. Im Text taucht er als "der Wanderer" auf. Und obwohl die Pseudophilosophie, die er sich zur Rechtfertigung seiner Taten zurechtgelegt hat und immerzu predigt, im Laufe der Lektüre doch ein wenig nervt, ist man am Ende überrascht, wenn sich die Frage seiner Identität löst. Bis dahin aber haben Olga und Dima eine Menge zu tun, denn so richtig unterstützen will die beiden niemand, weil schön unterm Teppich bleiben soll, was die neue Nomenklatura gefährden könnte.

Ob es, nachdem die Bestie schließlich hinter Schloss und Riegel gebracht wurde, noch zu einem Happy-End reicht, darf allerdings leise bezweifelt werden. Es würde jedenfalls nicht so richtig passen zu zwei Menschen, die von ihrer Erfinderin eindeutig auf Makellosigkeit getrimmt wurden. Schaut man sich das restliche Personal an, war das sicher bitter nötig, widerspricht allerdings auch jeglichem Realismus.


© 2010 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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