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Polina Daschkowa:
Das Haus der bösen Mädchen

Berlin: Aufbau Verlagsgruppe 2008
393 Seiten
ISBN 978-3-351-03241-8
Zum Verbrechen abgerichtet




Im Gegensatz zu einer ganzen Reihe anderer Stars der blühenden russischen Kriminalliteraturszene schreibt Polina Daschkowa nicht jedes Jahr drei, vier neue Bücher. Den langsam auch bei den deutschen Genreliebhabern aufkommenden Heißhunger nach Romanen dieser Autorin zu stillen, muss sich ihr deutscher Verlag deshalb etwas einfallen lassen. Mit Das Haus der bösen Mädchen legt man jetzt zum zweiten Mal - nach dem 2007 erschienenen Roman Der falsche Engel - einen etwas älteren Text erstmalig auf Deutsch vor.

Da bei Daschkowa das Gesetz der Serie dergestalt funktioniert, dass sowohl einzelne Personen wie auch bestimmte Ereignisse in mehreren ihrer Bücher auftauchen, erstere mal als Haupt-, mal als Nebenfiguren, letztere gespiegelt aus den unterschiedlichsten Perspektiven, sollten Liebhaber der Chronologie wissen, dass Das Haus der bösen Mädchen, im Original erschienen 2000, zwischen die bereits vom Berliner Aufbau-Verlag publizierten Bände Russische Orchidee und Der falsche Engel gehört. Ansonsten wäre noch vorauszuschicken, dass der Roman nicht zu den stärksten der Autorin zählt, was Daschkowa-Fans allerdings kaum abschrecken wird.

Wie immer bei dieser Autorin spielt die Haupthandlung in und um Moskau. Wenn die obligatorischen Ausflüge in die Vergangenheit der handelnden Personen gestartet werden, kann es dann auch einmal vorkommen, dass man geografisch für kurze Zeit das Zentrum des Riesenreichs verlässt, um den Beginn einer Karriere, für die nur Moskau die richtige Umgebung und Stimulanz bieten kann, in einem weit abseits der Metropole gelegenen Landstrich zu verfolgen. Häufig ist es dann zusätzlich so, dass in ihrer Kindheit von systemtreuen, skrupellosen Schranzen der kommunistischen Führungsclique Aufgezogene plötzlich gewaltige kriminelle Energien entwickeln oder der an den Rändern des Reichs gestürzte Vertreter des verschwundenen Sowjetregimes eine zweite Chance in der gut organisierten und weit verzweigten hauptstädtischen Verbrecherwelt bekommt.

Daschkowa macht dabei nie einen Hehl daraus, auf welcher Seite sie steht. Kleine, nicht durch eigene Schuld in den Strudel des Verbrechens geratene Gangster erscheinen bei ihr häufig sympathischer als jene skrupellosen, psychopathischen Gestalten, die früher zu profitieren wussten und nach der Wende ihr Mäntelchen ungesäumt in den neuen Wind hängen.

Im Haus der bösen Mädchen geht es erneut um die Verflechtung von Vergangenheit und Gegenwart. Die titelgebende Institution, ein von dubiosen Gestalten geführtes Waisenheim nahe Moskau - Erinnerungen an die vielen Tatsachenberichte aus vor allem rumänischen Waisenheimen, wie sie zu Beginn der 90er Jahre regelmäßig in der westlichen Presse auftauchten, werden wach - entpuppt sich nach und nach als Hort des Grauens. Hier werden Schwarze Messen gefeiert und die armen elternlosen Kinder - am besten gelungen ein weibliches Zwillingspaar, das an ähnlich skurril-skrupellose Verdopplungen des Bösen in den Bond-Romanen Ian Flemings denken lässt - zu Handlangern der Unterwelt erzogen. In den Kampf um eine verfolgte kindliche Unschuld, welche droht, schon früh in diesem Sündenpfuhl unterzugehen, sehen sich bald die noch lebenden Verwandten der Kleinen, die Moskauer Polizei und allerhand am Rande der Illegalität operierende "Selbsthelfer" verwickelt, die nicht mehr an den Staat als Garant von Recht und Ordnung glauben und auf ihre jeweils eigene Weise Licht ins Dunkel zu bringen suchen.

Das Haus der bösen Mädchen erzählt das alles gewohnt rasant - für meinen Geschmack freilich mit einem Quäntchen zu viel an (auch sprachlichen) Klischees -, so dass die Lesezeit wie im Fluge vergeht. Ganz nebenbei beleuchtet der Roman die gewaltige Kluft, die im heutigen Russland zwischen Reich und Arm herrscht, thematisiert die Korruption innerhalb des sich im Umbruch befindenden Polizeiapparats und gewinnt reichlich polemische Spitzen aus dem Vergleich des Gestern mit dem Heute.

Wirken die Größen der Verbrecherwelt dabei häufig ein wenig zu schematisiert, sind die vielen kleinen, der Wirklichkeit abgeschauten Gestalten, die manchmal nur für eine Episode am Rande Leben eingehaucht bekommen, das wirkliche Kapital der Autorin. Im Bodensatz der Gesellschaft, bei jenen, die der gewaltige Umbruch ganz nach unten gespült hat, entdeckt sie oft mehr Mitleid und Interesse für den Nächsten, als bei denen oben. Hier scheint sie noch zu leben, jene mythische Seele, von der die große Literatur Russlands einst erzählte und von der es auch noch einen kleinen Abglanz in den Kriminalromanen der Polina Daschkowa zu entdecken gibt.



© 2008 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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