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Polina Daschkowa:
Keiner wird weinen
Berlin: Aufbau Verlagsgruppe
GmbH 2007,
406 Seiten
ISBN 978-3-7466-2374-0
Die Verbrecher aus verlorener Ehre




Mit den Romanen Die leichten Schritte des Wahnsinns (2001), Club Kalaschnikow (2002), Russische Orchidee (2003) und Für Nikita (2004) machte sich Polina Daschkowa auch hierzulande einen Namen. Als "Krimi-Zarin" - dem östlichen Äquivalent zur "Crime-Queen" - wurde die heute 47-jährige Millionensellerin apostrophiert, ihren Büchern werden regelmäßig erzählerische Reife, raffinierte Komposition und sozialkritischer Blick bestätigt und wenn ihre Geschichten auch hauptsächlich in Russland angesiedelt sind, bemerkt doch jeder Leser schnell, dass sich in ihnen Dramen abspielen, wie sie in der großen Weltliteratur seit Jahrtausenden beschrieben werden. Es war deshalb wohl auch nur eine Frage der Zeit, bis man auf die Idee kam, ältere, in Deutschland bisher unbekannte Romane einer Autorin zu publizieren, die zwar außerordentlich fleißig ist, bei allem Tempo aber trotzdem auf literarische Qualität achtet und schnöder Vielschreiberei - wie sie von gar mancher ihrer Kolleginnen betrieben wird - bis dato erfolgreich trotzt. Der vorliegende Roman etwa stammt aus dem Jahr 1999, gehört also noch zu jenen, die - der Legende nach - am heimischen Küchentisch geschrieben wurden, bevor der Erfolg der Daschkowa auch ein eigenes Arbeitszimmer bescherte.

Nun sind ähnliche Verlagsstrategien auch schon häufig schiefgegangen. Bestseller der Gegenwart müssen nicht unbedingt ausgereifte Vorgänger besitzen. Und häufig erblicken aus Gründen des Kommerzes wahre literarische Stiefkinder das Licht der Welt, die man besser im Verborgenen gelassen hätte. Nicht so in diesem Fall. Keiner wird weinen besitzt alle den späteren Romanen seiner Autorin nachgesagten Tugenden. Der Roman ist gut geschrieben - gelegentlich nur etwas unbeholfen übersetzt, was wohl auf den Zeitdruck zurückzuführen ist, unter dem die Übersetzerin sich befunden haben dürfte. Wieder werden mehrere Geschichten geschickt ineinander verwoben, die zunächst gar nichts miteinander zu tun zu haben scheinen, bis sich gegen Ende hin der Nebel lichtet und jedem Leser sein befreiendes Aha-Erlebnis zuteil wird. Auch die alle späteren Romane Polina Daschkowas kennzeichnende geschickte Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart - was in dieser blutig kulminiert, hat in jener seine oft wenig spektakulären Wurzeln - muss der Leser nicht vermissen und eine Vielzahl plastisch gezeichneter Figuren streifen das Klischeehafte nicht ganz so häufig, wie es die Erfolgsautorin sich einmal wird erlauben können.

Der Roman erzählt die Geschichte zweier Männer, deren Wege sich mehrmals schicksalhaft kreuzen. Beide töten Menschen. Aber der eine, ein Räuber und Mörder, im Waisenhaus großgeworden, von einem Dieb erzogen und schließlich von einem eiskalten Killer mit dem letzten Schliff versehen, tut es gefühllos, ja fast aus Lust, während der andere mit selbst gebauten Bomben und Handgranaten als eine Art russischer Robin Hood Moskau vom Bösen befreien will. Hauptziel seiner anarchischen Aktivitäten ist von Anfang an jene Ex-Waise, der auch die ganze Familie des Rächers einst zum Opfer gefallen ist. Dass bei der Jagd auf den Skrupellosen eine Menge Kollateralschäden anfallen, wird umso gelassener in Kauf genommen, als es sich jedesmal um Verbrechergesindel handelt, mit dem die Staatsorgane nicht wirklich fertig werden.

Um diese Verfolger-Verfolgter-Geschichte herum hat Daschkowa eine Vielzahl interessanter Personen gruppiert, die ihre eigenen, mal tragischen, mal heiteren Geschichten mitbringen, welche das Lesen nie langweilig werden lassen. Da geht es um Frauenfreundschaft und Kindernot, Wohnungsknappheit und Heiratsschwindel, Alkoholismus, Exhibitionismus und Korruption und natürlich um die Liebe, die existierende, die man kaum bemerkt, ebenso wie die sogenannte "große", nach der sich alle vergeblich sehnen und die doch nur ein falscher Trost aus süßlichen Romanen, Filmen und Fernsehserien ist.

Und es geht um Moskau, die Millionenstadt, Moskau, den Moloch, Moskau, den Dschungel, wo man stark oder gewitzt sein muss, um zu (über)leben, Moskau, die Hauptstadt eines Reiches, das sich gerade transformiert, zum Bösen oder zum Guten, wer will das schon so genau wissen. In dieser letzten Beziehung sind Daschkowas Kriminalromane - und Keiner wird weinen vielleicht sogar noch mehr als seine Nachfolger - immer auch Wenderomane, genau beobachtete soziale Studien einer Welt im Wandel, vergleichende Betrachtungen zweier Zustände, eines Davor und eines Danach, beide eigentlich gleich unbefriedigend. Sie registrieren die sich plötzlich auftuenden neuen Fallgruben, spüren menschlichen Defiziten nach, beklagen Ungerechtigkeiten, die für große Gräben zwischen den einzelnen Teilen der postsowjetischen Gesellschaft sorgen. Allerdings ist Nostalgie nicht das Geschäft der Autorin, für ein Zurück plädieren höchstens einzelne ihrer Figuren und das in der Regel allein aus egoistischem Interesse.

Daschkowas Buch lässt am Schluss die Guten siegen und die Bösen untergehen. Wir sind halt in einem Roman und nicht in der Wirklichkeit. Einem Roman allerdings, der nicht nur atemlose Spannung erzeugt und auf jeder Seite fesselt - das wäre ja schon genug! -, sondern einem, der auch unaufdringlich unser aller Gegenwart in den Fokus nimmt und den Glauben an die Verbesserungsfähigkeit des Bestehenden nicht verloren hat. Kann man von einem Thriller mehr verlangen?



© 2007 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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