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Die aktuelle Rezension
(April 2006)

Polina Daschkowa:
Für Nikita
Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag
GmbH 2006, 408 Seiten
ISBN 3-7466-2258-1
Solide Kost von Russlands Queen of Crime




Von allen russischen Kriminalautorinnen, die ich kenne, ist mir Polina Daschkowa die liebste. Sie kann am besten schreiben - oder vielleicht wird sie einfach auch nur bessser übersetzt als die anderen -, baut wunderbare Plots, die in der Regel weit in die Vergangenheit des jeweiligen Romanpersonals ausschweifen, und überrascht durch stimmige soziale Szenerien.

Auch Für Nikita, 1999 im Original erschienen und soeben als Aufbau Taschenbuch herausgekommen, weicht von der grundsätzlichen Solidität aller Daschkowa-Romane keinen Millimeter ab, ja vielleicht ist es sogar der beste bisher auf Deutsch vorliegende Text der Auflagenmillionärin.

Erneut wird der Leser mit einem gut durchdachten Figurenfeld konfrontiert, dessen einzelne Personen er sich erst einmal zu erarbeiten hat. Das macht ihm die Autorin in den ersten beiden Kapiteln allerdings nicht ganz so leicht wie in ihren vorhergehenden Büchern. Zu schnell wechselt sie die Schauplätze und Zeitebenen. Aber wir sind ja nicht dumm. Und schließlich - so ab Seite 50 etwa - haben wir's begriffen.

Es geht im Kern um drei, vier Personen, welche - beliebtes Motiv bei Daschkowa, fast in jedem Roman taucht es auf - über eine gemeinsame Vergangenheit, aber keine gemeinsame Gegenwart verfügen. Die stellt erst der Roman her, und weil in dessen Verlauf enthüllt wird, dass in der Vergangenheit Konflikte zwischen den einzelnen Handlungsträgern entstanden sind, die die vergehende Zeit nicht zum Verschwinden brachte, sondern nur verschärfte, kulminiert das ganze entsprechend kriminell.

Für Nikita ruht im Grunde auf einer nicht verarbeiteten Dreiecksgeschichte. Zwei erfolgreiche Männer des neuen Russlands - der eine Politiker, der andere Schriftsteller - haben sich einst um dieselbe Frau bemüht. Deren erste große Liebe war der Künstler Nikita Rakitin, aber mit Glück und hinterhältigen Tricks hat ihn der weniger begabte, dafür machtgierigere und skrupellosere Grigori Russow aus der Gunst der Schönen verdrängt. Wenn der Roman beginnt, hat es das Alphatier Russow im Russland der 90er Jahre bis zum Gouverneur einer sibirischen Provinz gebracht. Rakitin ist derweil zum erfolgreichen Krimiautor avanciert und nennt sich Viktor Godunow. Doch obwohl er keine Versuche unternimmt, die früher Angebetete zurückzugewinnen, möchte Russow den Triumph über den einstigen Rivalen, auf den er nach wie vor eifersüchtig ist, gern vertiefen. Er heuert ihn deshalb ganz bewusst als Ghostwriter an, um seine Karriere zu recherchieren und eine Prominentenbiographie daraus zu machen. Doch als Rakitin Russows Weg zur Macht unter die Lupe nimmt, stößt er auf ein Gewirr von Verbrechen und Intrigen und wird schnell zur Gefahr für den Staatsmann.

Polina Daschkowa schreibt keine avantgardistische, sondern Spannungsliteratur. Und wenn es um das Leben im Russland der letzen 15 Jahre geht, dann hat man hierzulande gewisse Vorstellungen davon, denen der Roman sich scheinbar mühelos anpasst. Er ist übervoll von zwielichtigen Existenzen. Mafiosi und Auftragsmörder geben sich die Klinke in die Hand, und nirgendwo stirbt es sich schneller, als auf Moskaus Straßen. Inwieweit das tatsächlich der Wahrheit entspricht, sei dahingestellt. Es liest sich rasant weg, und dem Leser bleibt kaum Zeit, darüber nachzudenken. Nebenbei gibt es Seitenhiebe auf die Medienlandschaft, die Schulmedizin, die hauptstädtische Wohnsituation, das leidige Korruptionsproblem und und und, so dass man auch nicht von einer ausgesprochenen Wirklichkeitsferne des Buches sprechen kann.

Und wirklich ärgerlich wird der Hang zum Klischee, den die Autorin gern und manchmal sogar ein bisschen augenzwinkernd pflegt, eigentlich nur dann, wenn sie suggeriert, alle die Moskauer Straßen und Plätze mit Gewalt, Prostitution und brutal organisierter Bettelei überziehenden Banditen kämen aus dem Süden des einstigen riesigen Sowjetreiches und wären dementsprechend schon an ihren Physiognomien zu erkennen: "Der Asiat stand auf und erwies sich als ziemlich klein und krummbeinig." (S. 260) Auch das Frauenbild ist für westeuropäische Leser hin und wieder gewöhnungsbedürftig: "Eine, die gesund und schmackhaft kochte, ihren Mann sauberhielt und nie vergaß, wer sie einmal gewesen und wer sie geworden war und wem sie dafür dankbar zu sein hatte" (S. 305) - so eine liegt genau im Trend! Da atmen wir erst einmal tief durch.

Zum Glück besteht der Roman aber nur zum kleinsten Teil aus solchen und ähnlichen Plattheiten. Sein Plot ist insgesamt gut gestrickt, und spannend greifen seine Einzelteile immer besser ineinander, während die Handlung fortschreitet. Am Ende bringt es Daschkowa sogar zu einer Art Happyend, was fast überrascht, denn die Zahl jener Figuren, die in diesem Buch keinen Dreck am Stecken haben, ist äußerst gering.

Die Highlights von Für Nikita liegen für mich freilich wiederum in den in die Romanhandlung wie Perlen eingelegten Biographien einzelner Figuren. Hier schweift Daschkowa nicht nur zum Zwecke der psychologischen Motivierung gegenwärtiger Handlungen weit zurück, sondern konfrontiert mit ihrem Erzählen auch die alte mit der neuen Zeit. Und jene kommt beileibe nicht besser weg, wird nicht nostalgisch verklärt zum verlorenen Paradies, sondern in vielen Fällen ist gerade sie der eigentliche, sumpfige Grund, aus dem herauswächst, was nach dem Systemwechsel mit den Menschen passiert.



© 2006 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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