
Emanuele Rode ist ein Päderast. Und als er während eines Hamburg-Besuchs in den frühen Achtzigern merkt, dass ihn das Töten von Kindern sexuell erregt, beginnt er mit einer Mordserie, die sein Heimatland Italien sechzehn Jahre lang in Atem hält. "Die Ratte", wie er von der Presse schnell genannt wird, schlägt in unregelmäßigen Abständen zu. Nichts kündigt Rodes Taten an, Vorlieben hat er keine, jedes Kind, dass ihm zufällig über den Weg läuft, kann zum Opfer werden.
Gleichzeitig geht es mit dem Mörder im äußeren Leben steil bergauf. Begegnet er dem Leser zunächst als erfolgreicher Journalist, landesweit bekannt und vielgelesen, sieht man ihn gegen Ende des Romans als italienischen Außenminister. Und als solcher ist er, von dem inzwischen etliche wissen, welch dunkles Geheimnis er mit sich trägt, natürlich nahezu unangreifbar.
So weit, so gut. Es hat schon bessere Plots gegeben, aber auch schlechtere, aus denen trotzdem Bücher wurden. Und außerdem verbürgt sich vorliegendes Werk für eine gewisse Authentizität. Sein Verfasser, so erfährt man, hat eine Laufbahn bei der italienischen Polizei absolviert, ehe er für sein Hobby, das Schreiben, zu leben begann. Er sollte also eigentlich wissen, wie der kriminelle Hase läuft.
Aber oweh! Das Buch hat alles, was einen schlechten Anfängerroman nur kennzeichnen kann. Abgesehen von den wirklich schlichten Figurenzeichnungen, der nervigen, TV-Serien unterster Kategorie abgeschauten Schnitttechnik, mit der ständig die Schauplätze und Perspektiven gewechselt werden - und zwar meistens dann, wenn das gerade nicht angebracht ist -, kommt auch nicht einen einzigen Moment das auf, wofür das Genre Thriller eigentlich steht, nämlich Spannung. Immer wieder werden Nebenschauplätze eröffnet, lähmende Beschreibungen schlichtester Innenwelten lenken vom Hauptgeschehen ab, Selbstverständlichkeiten beanspruchen breitesten Raum, Dinge, die wirklich interessant wären, geraten aus dem Blick.
Man verstehe mich bitte nicht falsch! Ich plädiere nicht für die Aufrechterhaltung von Spannung durch die minutiöse Beschreibung kaltblütiger Akte. Ich will nicht wissen, welche Gewebeschichten die Machete im Einzelnen durchtrennt, bis sie auf die Eingeweide des minderjährigen Opfers stößt. Und es macht mir auch nicht mehr Spaß, wenn ich mich selbst an der Tätersuche beteiligen darf und am Schluss einen heillosen Schreck bekomme, da die harmloseste Figur sich als der blutrünstigste Killer herausstellt. Geschenkt! Aber wenn ein Roman als ambitioniert, kenntnisreich und nervenzerfetzend angepriesen wird, dann soll er wenigstens eines sein: ein halbwegs gut geschriebener Roman.
Der Kindermörder aber spekuliert ziemlich dreist und marktschreierisch auf ein Publikum, dem es beim Gedanken an die - möglichst grausame - Tötung von Zwei- bis Zwölfjährigen beiderlei Geschlechts ordentlich kalt überläuft. Er will ein bisschen Mitreiten auf der gerade prima rollenden Welle von Splatterhorror jeglicher couleur. David Fincher meets Thomas Harris, introducing Piernicola Silvis. Aber dazu braucht es mehr. Mehr Mut. Mehr Handwerk. Mehr Raffinesse.
Was Silvis bietet, ist dagegen nichts Halbes und nichts Ganzes. Alle möglichen Themen werden angerissen. Die berüchtigten Snuff Videos, bestialische Internetseiten auf russischen Servern, schmutzige Chatrooms, Aids und und und. Nichts, was der Leser nicht schon einmal gehört hätte. Und am Ende auch noch ein moralischer Appell und die Internetadressen der für Kinderpornographie zuständigen Polizeidienststellen in Italien, Deutschland, Österreich und der Schweiz. Uff! Alles ehrenwert und wohlmeinend - aber wir sind nicht in der Realität, sondern in einem Buch. Das darf mehr, als sich sein braver Autor erlaubt. Vor allem aber darf es übertreiben. Dieses freilich untertreibt. Es ist zu anständig, zu fantasielos, zu brav. Zu politisch korrekt. Einfach nur langweilig.