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Die aktuelle Rezension
(Januar 2007)

Peter Richter:
Deutsches Haus. Eine Einrichtungsfibel
München: Wilhelm Goldmann Verlag 2006, 224 Seiten
ISBN 3-442-30111-4
Von der Wiege bis zur Bahre - Auslegware, Auslegware




Peter Richter hat uns vor Jahren erfreut mit seiner Bestandsaufnahme deutsch-deutschen Miteinanders in den 90ern. 1973 geboren, war der Mann zur Wendezeit gerade im studierfähigen Alter, ging von Dresden, wo er die Schulbank drückte, nach Hamburg, wo er sich u.a. mit Kunstgeschichte beschäftigte, und sah sich dadurch in die Lage versetzt, aus der ersten Reihe über Mentalitätsunterschiede zwischen Ost und West zu schwadronieren. Und weil der inzwischen als Autor und Kolumnist Arbeitende das damals mit Bravour, spitzer Zunge und kritischem Witz tat, war sein Bucherstling Blühende Landschaften für mich eines der besseren Enkel-Bücher, die an und kurz nach der Wende zum neuen Jahrtausend erschienen.

Inzwischen ist Richter aus den Jahren, da man bei den Eltern, in Wohnheimen oder möbliert zur Untermiete wohnt, heraus, kann sich als einigermaßen verdienender Journalist etwas Eigenes leisten und diese Tatsache hat ihn offensichtlich inspiriert, über deutsche Wohnlust und deutschen Wohnwahn, profund und erheiternd, kulturgeschichtlich in die Tiefe gehend und gegenwartskritisch die ganze Ratgeberlawine in den skeptischen Blick nehmend, zu schreiben. Herausgekommen ist ein kleines Kompendium gegenwärtigen und vergangenen Wohnens, das sich allgemach zu einem Plädoyer für die Selbstbestimmtheit auch in diesem Bereich des menschlichen Lebens mausert. Das Ganze kommt etwas schwer in Gang - noch das zweite von insgesamt 16 Kapiteln ist eigentlich nur eine Verlängerung des Vorworts mit anekdotischen Mitteln -, hält auch unterwegs ein paar Längen parat, die sich nicht unbedingt jeder Leser antun wird, weil hier nichts anderes als Studienfrüchte wiedergekäut werden, ist aber allemal humoriger und überzeugender als ein Jahrgang jener Hochglanzzeitschriften, die uns zeigen wollen, wie man sein Leben wirklich in Übereinstimmung mit dessen äußerem Rahmen bringt.

Richter geht chronologisch vor, beginnt mit Geburtshaus, Kinderstube und Jugendzimmer, ehe er sich dem Umzugsunwesen zuwendet, über gute und schlechte Wohnlagen fabuliert, uns in Einrichtungshäuser schickt und schließlich mit der Frage konfrontiert, wie das Grab des Menschen als dessen letzte Heimstatt wohntechnisch auszurüsten sei. Dazwischengeschaltet hat der Kunsthistoriker Exkurse über die Erziehung zum richtigen Wohnen von der sogenannten Kunsterzieherbewegung der Jahrhundertwende über die "Zehn Gebote zur Wohnungseinrichtung" des Ferdinand Avenarius (Gebot Nummer 6: "Du sollst nicht Pimpeln!") bis zu Bauhaus, Neuer Sachlichkeit und schließlich Nierentisch im Westen und Multifunktionstisch vor der ostdeutschen Couchecke.

Das liest sich brillant vor allem dann, wenn der Berichterstatter nicht mit Nachrichten aus dem eigenen Leben geizt. Und weil die Herren, die zu Beginn des Jahrhunderts in Geschmacks- und Wohnfragen den Ton angaben, oft aus Dresden und Umgebung stammten, ist der gebürtige Dresdner Peter Richter häufig in seinem Element. Aber auch der das aktuelle Wohnen und seine Auswüchse beobachtende Freund und Verwandte hat viel Interessantes und Amüsantes zusammengetragen.

Da hören wir von den "Dachgeschoßdeppen" in den restaurierten ostdeutschen Innenstadthäusern, die für das Wohngefühl in ihrer Maisonette eisige Kälte im Winter und unerträgliche Hitze in den Sommern auf sich nehmen. Wir vernehmen mit Entsetzen, wie die gesamte Wohnung zum Kinderzimmer zusammenschnurrt, wenn erst einmal Nachwuchs die jungen Paare von heute geschlagen hat. Und in einer wunderbaren historischen Reminiszenz an das Wohnen in der durchnormierten DDR - Stichwort: WBK 70 - tauchen sie noch einmal auf: die Wagenräder mit Blumenschmuck an den Balkonwänden, die Kronleuchter so schwer wie unpraktisch und all die Schrankwände mit Stauraum gleich für mehrere Leben: "Je Raumschiff, desto Bauernschrank!" (S. 77)

Wer freilich glaubt, Freiheit und Warenangebot, die der Westen in den Osten brachte, hätten wirklich Wesentliches geändert, sieht sich getäuscht. Heute sitzen die einstigen Schuhschachtelbewohner aus den Neubauvierteln der DDR dicht zusammengedrängt in Wohnsiedlungen am Rand der Städte. Nach wie vor bestimmt der Fernseher die Ausrichtung des Mobiliars im Allerheiligsten, der "Guten Stube" - ein säkularisierter Altar in einer säkularisierten Kirche, vor dem Bier und Chips die Funktion von Messwein und Hostie übernommen haben. Und wenn man aus seiner Wohnung hinein in den Fernseher schaut, sieht man andere Wohnungen, die einem flugs wieder als Vorbilder dienen können und so weiter und so fort.

Dem Wohnen entgeht niemand, könnte man konstatieren, wenn man Peter Richters Buch liest. Und weil Wohnen heute mehr denn je mit Sein zu tun zu haben scheint (Sage mir, wie Du wohnst, und ich sage Dir, wer Du bist!), mischen sich auch immer mehr Autoritäten in diese Kulturtätigkeit ein. Niemand wohnt eigentlich mehr, wie er will. Innenarchitekten, Designer und Wohnraumberater werden geholt, um ein Bild zu erzeugen, das gesellschaftlichen Normen gehorcht, Individualität aber komplett verleugnet. Kann von Wohlfühlen die Rede sein, wenn alle irgendwie gleich wohnen? Aber muss man nicht wie alle wohnen, wenn die Norm für das Lebensgefühl einer bestimmten Schicht oder eines bestimmten Milieus an genau definierten Eigentümlichkeiten des Wohnens festgemacht wird? Wenn man etwas ganz Bestimmtes einfach braucht, um dazuzugehören? Lohnt es sich dann überhaupt noch, den eigenen Bau zu verlassen, um bei anderen zu Gast zu sein?

In ihren besten Momenten ist Peter Richters kleine Wohnfibel eine ziemlich zornige Entgegnung auf das Wohn- und Lebenseinerlei unserer Tage. Auf unsere Autoritätshörigkeit und den fehlenden Mut zum wirklich Eigenen. Und wo sie nicht so kämpferisch ist, hat sie immer noch Witz samt der Hoffnung, der Ausgang aus unserer selbst verschuldeten Unmündigkeit auch in puncto Wohnen sei noch nicht gänzlich verbarrikadiert.

© 2007 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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