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Peter Richter:
Blühende Landschaften. Eine Heimatkunde
München: Goldmann 2004, 221 Seiten
ISBN 3-442-31075-X
Einmal Westen und zurück




Peter Richter ist 1973 geboren und in der DDR groß geworden. In Dresden, um genau zu sein. In den frühen 90ern ging er nach Hamburg, um zu studieren. Und lernte en passant den Westen kennen. Nun erstattet er Bericht von seiner Expedition ins Unbekannte. Entstanden ist eine Heimatkunde der anderen Art. Sie zählt zu jenen Büchern der letzten Jahre, in denen junge Autorinnen und Autoren ( ich denke unter anderen an Jana Hensel, Jakob Hein oder Claudia Rusch) ihre Erfahrungen mit dem Deutschland der letzten dreißig Jahre rekapitulieren, sich danach erkundigen, woher Ostler und Westler ihre unterschiedlichen Identitätsmuster beziehen, um schließlich unaufgeregt festzustellen, welch breiter Graben die Deutschen links und rechts der Elbe auch 15 Jahre nach der Wiedervereinigung noch voneinander trennt.

Sie kommen dabei fast ohne Ideologie aus, weil sie ihre Feldforschungen im Privaten betreiben, und ersparen es sich und ihren Lesern, der Vergangenheit aus einer überlegenen gegenwärtigen Position den Prozess zu machen. Dass Leben auch unter staatssozialistischen Bedingungen stattfand, stellen sie nicht in Abrede. Sie sind zu jung, um verbittert zurückzuschauen, und zu alt (-klug), Nuancen des Gestrigen im Aktuellen einfach zu übersehen. Und wenn sie gut sind - und das sind sie in der Regel, und Peter Richter ist es im besonderen - beherrschen sie ihr Handwerk, das Schreiben, auf so leichte Art, dass man ihnen auch dann noch gerne folgt, wenn man nach einhundert, einhundertfünfzig Seiten eigentlich der Meinung ist, nun sei es erst einmal genug.

Natürlich ist das eine oder andere übertrieben. So viele Rechtsradikale, Autoschieber und Kaufhausdiebe, wie Richter durch das Dresden der frühen neunziger Jahre strömen lässt, gibt und gab es in ganz Europa nicht. Doch mir selbst sind die Verlockungen wohlbekannt, die einem die Zunge geschmeidig machen, wenn man unter die anderen Deutschen gerät und Rede und Antwort stehen muss, wie es denn war in einer Diktatur, von der sie dort nur das Schauerlichste gehört haben, so schauerlich, dass sie bis heute nicht an die Orte reisen, wo solches einst geschah. Dann gerät die exklusive Zeitzeugenschaft fast unmerklich in den Sog eines mythischen Erzählens, das nie anders als beifällig und staunend aufgenommen wird. Und je größer die Resonanz, umso freier der Umgang mit dem Stoff, was allemal verzeihlich sein sollte, weil es ja tatsächlich - wie alle gute Literatur eben - überhöhte Kunde von Gewesenem gibt. Beziehungsweise geben sollte!

Richter hat sein Buch in achtzehn Kapitel unterteilt, was den Verdacht nahelegt, das dem Journalisten die Idee, seperate Annäherungen an Teile der deutschen Wirklichkeit zu einem unter dem wuchtigen Genrenamen Heimatkunde - übrigens ein Schulfach in der DDR, welches nicht gerade ob seiner entideologisierten Inhalte glänzte - auftretenden Buch zu bündeln, erst relativ spät kam. Auch ist die Gesamtanlage teils so disparat, dass der Hauptvorwurf, den man - so man will, und wir wollen halt hier einmal - dem Unternehmen machen kann, der ist, dass Richter zu oft mit der heissen Nadel gearbeitet hat. Oft ist weniger eben mehr und die Geschäfte des Tages gehören nicht in einen Band, der mehr als ein Jahrzehnt zu überblicken sich anschickt. Ob es tatsächlich der zahlreichen polemischen Einlassungen bedarf - etwa auf die seltsame These eines Herrn namens Toralf Staud in der ZEIT, wonach Ossis und Türken ein gemeinsames Schicksal teilten -, ist beispielsweise mehr als fraglich. Kompositorisch tut das dem Buch jedenfalls nicht gut. Das ist immer in jenen Momenten ganz wunderbar, wo es auf die individuellen Erlebnisse seines Verfassers nicht nur abhebt, sondern im besten Sinne vertraut. Erlebnisse mit Städten (Hamburg, durch das die Alster wie eine etwas andere Zonengrenze verläuft), Menschen (die manchmal herrlich komisch über einen Kamm geschert werden und dann zu richtig bissigen Typologien gefrieren) und Mentalitäten ins Typische hebt.

Gelangweilt - um es zum Schluss noch mit Kollegen Reich-Ranicki zu sagen - habe ich mich jedenfalls nur selten. Dagegen sind der Seiten, an deren Ränder ich in krakeliger Bleistiftschrift "Saugut!" schrieb, nicht wenige. Da ist zum Beispiel einmal folgendes zu lesen:"Assimilation ist leider unmöglich. Dazu muss man sich die fremde Kultur nämlich genauer ansehen, und das tut dieser Kultur meistens nicht besonders gut. Man kann nicht Westdeutscher werden. Man kann nur westdeutscher werden." (S. 1001) Wenn das nicht schöne Schlusssätze sind, weiss ich auch nicht.

© 2005 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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