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Paul Nizon:
Das Fell der Forelle
Frankfurt/ Main: Suhrkamp Verlag 2005, 125 Seiten
ISBN 3-518-41711-8
Auf Fischfang in der Tantenwohnung




Paul Nizon ist ein Schweizer Autor, der in Frankreich lebt. Und das schon mehrere Jahrzehnte lang. Von ihm stammt das berühmte Wort vom "Leben in der Enge", das nicht unbedingt inspirierend für Künstlerschaft sei. Im Hause enden die Geschichten überschrieb er 1971 einen wunderbaren kleinen Erzählband. Und machte sich danach davon ins Freie.

Besonders taten es ihm schon immer die Großstädte an: Rom, Barcelona, London - und schließlich Paris. Hier ist er inzwischen - auf fragile Weise - sesshaft geworden. Und alle paar Jahre schickt er Nachrichten aus der Seine-Metropole an sein kleines aber feines Publikum im deutschsprachigen Raum.

Nun also Das Fell der Forelle. Eigentlich nichts, was man zwingend Roman nennen würde, stünde es nicht darüber. 125 in einer gut lesbaren Type bedruckte Seiten, auf denen Nizon erneut seine Lieblingsthemen und -motive in Stellung bringt: die Frau(en), die Stadt und die Sexualität, Liebe und Eifersucht, Träume und Reisen sowie das Laufen in verschiedener Gestalt.

Wer bei einem Text, der sich freiwillig der erzählerischen Großform zurechnet, nach einer Handlung sucht, wird Rudimente einer solchen finden. Aber wenn er Nizon auch nur ein bisschen kennt, wird ihm vieles bekannt vorkommen. Denn wieder strandet ein Protagonist, dessen Berichtsfragmente in der Ich-Form verfasst sind, im Ozean der europäischen Metropole mit der größten Strahlkraft und hat alle Not, über Wasser zu bleiben. Dass es diesmal der Nachkomme einer Hochseilartistenfamilie namens Frank Stolp ist, ist nur insofern von Bedeutung, als über das künstlerische Metier seiner Vorfahren eine gewisse Fallhöhe assoziiert wird, aus der auch der Nachkomme des Clans am Anfang in die Tantenwohnung stürzt und am Ende aus allen lebensweltlichen Zusammenhängen heraus.

Offensichtlich befindet der Mann sich in keinem guten Zustand. Eine gescheiterte Liebesbeziehung, auf die verschiedentlich angespielt wird, liegt hinter ihm; dass ihm die Assimilation an die Lebensumstände, die er in Paris vorfindet, letzten Endes gelingt, darf durchaus bezweifelt werden. Es ist auch nur ein kleines Stück Weg, auf dem der Leser ihn begleiten darf. Schnell hat er sein Viertel, das etwas außerhalb liegt, erkundet, weiß, wo und von wem er welche elementaren Bedürfnisse - die sexuellen eingeschlossen - erfüllt bekommt. Aber er versteht sich nicht wirklich zu integrieren, möchte kein Teil sein von dem, was er vorfindet.

So bleibt er ein Fremder auch jenen, die ihm in seinen Pariser Tagen nahekommen, den notorischen Davonläufer, als den er sich selbst bezeichnet, aber nicht halten können. Am Ende verschwindet er aus einem immer sarkastischer werdenden Text gerade so, als löse er sich mit dessen letzten Zeilen in Luft auf, werde alle bedrückende Erdenschwere mit einem Schlag los und entschwebe ins Nichts - eine Nizonsche Sehnsucht, die wir zu kennen meinen.

Überhaupt ist das Wie wieder einmal wichtiger als das Was. Keine Geschichte soll uns aufgetischt werden im Fell der Forelle, sondern die Teilnahme an einer Gegenwart, die sich keinem Plan unterordnet, ist das Angebot, welches der Autor dem Leser macht.

Und was hat es mit der Forelle und ihrem Fell auf sich? Nizons frühere Paris-Texte wissen etwas von Tauben und Hunden, Im Bauch des Wals hieß jene kleine Sammlung von Caprichos, die 1989 erschien. Nun also die Forelle als Wappentier eines Prosastücks. Sie ist in der Pariser Welt, die Stolp als Vermächtnis seiner verstorbenen Tante in den Schoß fällt, gleich zweimal vorhanden: als ein kolorierter Stich in der Auslage eines Kürschnergeschäfts, auf dem eine pelzgekleidete, kokette Dame zu sehen ist, und als Bild in seinem Kopf, das an ein Leben gemahnt, in dem es glitzert und wo der Sprung aus der Erdenschwere in eine federleichte Wunschexistenz anstrengungslos möglich ist. In diesem letzteren Sinne, als glitschiger, springender Silberfisch, der nie in den Griff zu bekommen ist und sich jeder Einvernahme entzieht, präsentiert sich Nizons Helden das Leben, welches er gern leben möchte. Allein das bleibt ihm verwehrt bis zum Schluss.

© 2005 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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