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Die aktuelle Rezension
(Juni 2010)

Nora Miedler:
Warten auf Poirot
Hamburg: Argument Verlag 2009,
188 Seiten
ISBN 978-3-86754-182-4
Zickenalarm am Dachsteinmassiv




Klassischer kann man einfach nicht plotten. Zehn kleine Negerlein waren es einst bei Agatha Christie. Nora Miedler kommt mit der Hälfte an Personal aus. Fünf Frauen, 28 Jahre alt, Freundinnen von der Schule her, schickt die Wiener Autorin in ihrem Krimidebüt über Neujahr zum Dachstein. Eigentlich will man sich's in der Alpenzauber-Hütte wieder mal so richtig gemütlich machen. Aber daraus wird nichts. Während draußen ein Schneesturm tobt und die Handvoll junger Damen vom Rest der Welt abschneidet, beginnt drinnen - und nichts anderes hat der Leser, wenn er ehrlich ist, erwartet - schon bald das Meucheln.

Nach 18 Stunden Nervenkrieg findet die endlich eintreffende Polizei zwei Leichen und drei gerade noch mit dem Leben Davongekommene. Unter Letzteren ist auch die Ich-Erzählerin, Charlie, die bereits mit Mordgelüsten im Kopf zu dem Ausflug aufgebrochen ist. Sonderlich sympathisch will sie uns nicht werden, aber da kennen wir Rita, Ingrid, Sonja und Marnie noch nicht: eine Anwältin, eine Barbesitzerin, eine Hausfrau mit drei Buben und eine Escortdame für Herren mit Ansprüchen. Charlie übrigens arbeitet in einer Videothek, was gut zu ihrer Art passt, sich den Anforderungen der Wirklichkeit konsequent zu verweigern. Rücken die ihr zu nahe, flüchtet sie sich in Weinattacken und hysterische Anfälle. Für ihre vier Freundinnen ist sie deshalb der "Psycho", der auch schon über einschlägige Anstaltserfahrungen verfügt und nicht ganz ernstzunehmen ist.

Aber was heißt hier überhaupt "Freundinnen". Die Ich-Erzählerin bringt es schon eingangs auf den Punkt: "In Wirklichkeit sind wir einfach fünf, ..., egoistische Biester, die sich nicht ausstehen können, aber aus Bequemlichkeit aneinander kleben. Ist doch viel einfacher, als sich neue Freunde zu suchen." Und so scheinheilig verhält man sich auch einander gegenüber. So dass sich der Leser nach einem knappen Drittel des Buches auf komplett vermintem Gelände wiederfindet.

Überall verlaufen plötzlich Frontlinien. Da stehen die zwei Schönen, denen die Männerwelt zu Füßen liegt, jenen drei anderen gegenüber, die "seit jeher durch den Liebesrost" gefallen sind. Da pochen die aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Emporkömmlinge auf ihre Überlegenheit gegenüber jenen, die die besseren materiellen Voraussetzungen mitbrachten, aber letztlich im Mittelmaß steckenblieben. Da prallen unterschiedlichste Lebensentwürfe aufeinander, werden zynisch Verteidigungspositionen bezogen, an die man unterm Strich selbst nicht glaubt. Und allmählich schält sich heraus, dass da im Verborgenen der fünf Seelen, die sich einander immer nur scheinbar öffnen, auch das eine oder andere Mordmotiv schlummert.

Natürlich bietet uns Nora Miedlers Roman am Schluss eine Erklärung für die Geschehnisse in der Berghütte an - man will ja schließlich wissen, wer hinter den Morden steckte und warum beziehungsweise wozu sie begangen wurden. Interessanter freilich als diese genregerechte Auflösung, die teilweise auch nicht so richtig zu überzeugen vermag, scheint mir allerdings die Tatsache, dass es damit für die Überlebenden noch lange nicht "vorbei" ist. Das Prinzip Spannung - Entspannung, wie es den klassischen Vorbildern der jungen Wiener Autorin eignete, wird von ihr jedenfalls völlig außer Kraft gesetzt. Am Ende atmet niemand durch. Hingegen wird weiter gewartet. Auf Poirot oder Godot oder wenigstens darauf, dass eine der verbleibenden "Freundinnen" endlich damit beginnt, ein ehrliches Leben - auch sich selbst gegenüber - zu führen.


© 2010 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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