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Die aktuelle Rezension
(September 2010)

Nii Parkes:
Die Spur des Bienenfressers

Zürich: Unionsverlag 2010,
221 Seiten
ISBN 978-3-293-00422-1


... alles andere aus der Krimiwelt
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Der letzte Jäger und die Gerechtigkeit




Ghana ist für den europäischen Leser auf der Weltkarte des Kriminalromans noch ein relativ unerforschtes Gebiet. Mit Nii Parkes' (Jahrgang 1974) Roman Die Spur des Bienenfressers, in dem Altes und Neues, Tradition und Moderne, Zauberei und Wissenschaft aufeinanderprallen, ohne dass sich die Fronten zwischen diesen Widersprüchen bis zum Schluss tatsächlich klären würden, ändert sich das nun. Und das Erstaunliche ist: Trotz aller Exotik fühlt man sich von der ersten Seite an in diesem Buch zu Hause. Erinnert sich - nicht ohne eine Spur von Heimweh - an jene Zeiten, als einem Großvater und Großmutter noch Geschichten erzählten, die umso spannender waren, je mehr sie der alltäglich erfahrbaren Logik und Lebensrealität widersprachen und die Fantasie auf die Spur von geheimnisvollen Mächten, Zauberwesen und göttlichen Strafgerichten, die aus heiterem Himmel über Frevler und Bösewichte hereinbrachen, lenkten. Und möchte am Ende, wenn das Buch einem eine nachvollziehbare Erklärung für das scheinbar Mystische, das polizeiliche Ermittler aus der Hauptstadt Accra in das kleine Dorf Sonokrom führt, anbietet, am liebsten gar nicht lassen von einer Welt, die auf anderen Fundamenten ruht als denen des europäischen Rationalismus und trotzdem den Anschein erweckt, es ginge in ihr nicht nur einfacher und unkomplizierter zu, sondern auch gerechter und menschengemäßer.

Wobei zunächst einmal nicht zu entscheiden ist, ob der Fund, den eine junge Frau in einer der Hütten von Sonokrom macht, überhaupt etwas Menschliches an sich hat. Ein knochenloser Klumpen Fleisch, madendurchsetzt, liegt da und sondert einen Dunst ab, den nur die Einheimischen nicht wahrzunehmen vermögen. Weil die Entdeckerin des so Ungeheuerlichen wie Unerklärlichen aber die Geliebte eines ghanaischen Ministers ist, lässt man nicht - wie es sonst üblich wäre - Gras über die Sache wachsen, sondern mobilisiert die Polizei. Bald wird denn auch das Örtchen belagert von großsprecherischen Beamten, die ihren Vorgesetzten berichtspflichtig sind und die eigene Existenz gefährdet sehen, wenn sie die Mauer des Schweigens, hinter die die Dorfbewohner sich zurückziehen, nicht zu durchbrechen in der Lage sind.

Aber Ghana ist ein modernes Land. Eines, das - so wenigstens die Lesart jener, die den westafrikanischen Staat regieren - aufgeklärter Lebensweise, Philosophie und Wissenschaft näher steht als so mancher seiner zurückgebliebenen Nachbarstaaten. In Ghana schauen die maßgebenden Funktionäre CSI und Law & Order - und genauso, wie dort die Fälle gelöst werden, soll es nun auch in Sonokrom zum höheren Ruhme des Vaterlands geschehen. Sprich: Ein Forensiker muss her.

Damit dieser - ein in England ausgebildeter, ganz den Geboten der Vernunft sowie konkreten wissenschaftlichen Messdaten verpflichteter Mann namens Kayo - sich der Sache allerdings überhaupt annimmt, bedarf es schon gewaltigen Drucks. Denn dessen Plan, nach seinem Auslandsstudium als Gerichtsmediziner bei der Polizei in Accra ein interessantes Aufgabengebiet mit großer Zukunft zu finden, ist nach ein paar Monaten in den Mühlen der korrumpierten Bürokratie versandet. Mühsam verdient er sein Brot in einem privaten Chemielabor der Hauptstadt und denkt gar nicht daran, diese im Grunde kümmerliche Existenz für windige Versprechungen aufs Spiel zu setzen. Also lässt man ihn mitten aus seinem Alltag heraus wegen "regierungsfeindlicher Umtriebe" verhaften und stellt ihn vor die Alternative, entweder mit einer nebulösen Anklage am Hals in einem Hochsicherheitstrakt zu verschwinden oder im Dorf Sonokrom den Fall des geheimnisvollen Leichnams aufzuklären, der inzwischen zu so etwas wie einer nationalen Angelegenheit geworden ist.

Die Spur des Bienenfressers ist ein Roman voller Humor, Glauben an die Kraft des Überlieferten und Schwelgen in herkömmlichen Erzähltraditionen. Aus der Ich-Perspektive des "letzten Jägers" von Sonokrom, eines 74-jährigen Dorfbewohners, der all das verkörpert, was in der Hektik der sich europäisierenden Städte längst verlorengegangen ist, liefert er Erklärungen für etwas dem vernünftigen Blick Unerklärliches. Das aber hat letzten Endes - wirft man einen Blick hinter das mythisch-poetische Rankenwerk, mit dem die Erzählungen des alten Mannes sich reichlich schmücken - viel mit Gerechtigkeit in einem ursprünglichen, nicht korrumpierbaren Sinne zu tun. Dies zeigt sich spätestens auch dann, wenn der Forensiker Kayo erfahren muss, dass seine Auftraggeber in hohen Regierungsämtern nicht an der Wahrheit interessiert sind, sondern lediglich an einem Befund, der ihrem Machterhalt nützt. Dass die Überreste eines von der Gemeinschaft nach herkömmlicher Sitte bestraften Gewalttäters für all jene, die in der Gegenwart Gewalt- und Gerichtsmonopol allein den eigenen Zwecken dienstbar gemacht haben, furchtbar stinken müssen, ist deshalb wirklich einleuchtend. Für all jene hingegen, die sich nicht abfinden wollten mit der Existenz des Bösen mitten in ihrer Gemeinschaft, riecht der Haufen verfaulten Fleisches süß wie Gerechtigkeit nur reichen kann.

© 2010 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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