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Milan Kundera:
Der Vorhang
München/ Wien: Carl Hanser Verlag 2005, 224 Seiten
ISBN 3-446-20659-0
Dritter Aufguss, reichlich dünn




Ehrlich, ich bin ein großer Fan des Tschechen Milan Kundera. Er gehört zu jenen Autoren, auf deren neue Bücher ich mich immer besonders freue. Deshalb wird man verstehen, wie groß meine Erwartungshaltung war, als bekannt wurde, dass endlich wieder ein Text von ihm auf Deutsch erscheint, der erste seit fünf Jahren, dem Erscheinungsdatum des Romans Die Unwissenheit. Allerdings wurde meine Vorfreude durch eine kleine Zusatzinformation sofort ein bisschen herabgestimmt. Der Vorhang nämlich, so teilte der Hanser-Verlag vorab mit, enthalte des Autors gesammeltes Wissen zum Roman. Und das kannte ich irgendwie schon.

Ich lese nämlich wirklich alles, was von Kundera erscheint. Und weil das so ist, hatte ich sowohl Die Kunst des Romans (1986), als auch Verratene Vermächtnisse (1993) seinerzeit zur Kenntnis genommen. Beide Bücher zeigen Kundera als Leser und geben Einblicke in seine Lieblingslektüren. Das ist interessant und amüsant zugleich, weil man hier von einem, der selber Bücher schreibt, in die Kunst dieses Handwerks eingeführt wird. Einem, der sich nicht scheut, akademisches Herangehen an künstlerische Produkte als langatmig und übertheoretisiert zu schmähen, am Kern von Literatur vorbei krude Thesen inthronisierend, die mehr über die psychische Labilität ihres Erfinders als über das jeweils in Rede stehende Werk verrieten. Großartig!

Doch mit zwei Bänden zum selben Thema, so fand ich schon nach den Verratenen Vermächtnissen, könnte Kundera es nun auch belassen und sich wieder auf sein Eigentliches konzentrieren, jene leichten Romane, die Lebenskunst und Philosophie, Mythos und Gegenwart, Ost und West, Zauberei und Wirklichkeit so unnachahmlich schön in Eines gießen können. Tja, fand ich wirklich - fand aber leider nicht der Autor.

Dessen aktuelles Buch - Der Vorhang genannt, weil es vorgibt, hinter diesen zu schauen und das Geheimnis dessen aufzudecken, was von Europa einst bleiben wird - ist in weiten Teilen nichts als ein dritter Aufguss seiner beiden Vorgänger im Geiste. Wieder hören wir viel von den Künsten der Herren Cervantes und Rabelais, die an der Wiege jener genuin europäischen Kunstform standen, als die der Roman von Milan Kundera begriffen wird. Wir verfolgen dessen Geschichte über das siebzehnte, achtzehnte und neunzehnte Jahrhundert und landen schließllich bei Kafka, Musil und Broch, dem Dreigestirn, das ausgreifendes Erzählen in unserem Jahrhundert auf so einsame Höhen hob, dass kaum ein Autor der Gegenwart da noch heranreichte. Okay - mit Stifter hat uns Kundera früher weniger gequält, auch an die heraufbeschworene Zeugenschaft eines Garçia Marquez für genuin modernes Erzählen am Jahrhundertende erinnere ich mich nicht. Geblieben aber ist der melancholische Vortragston, die Klage über das allmähliche Verschwinden des großen Romans, das Frösteln im kalten Wind einer kunstfernen, ja kunstfeindlichen Gegenwart.

Das alles war schon da, und ich könnte schwören: fast in denselben Worten. Diesmal aber ist die im Grunde sympathische, wenn auch auf ihre Weise ebenfalls bornierte Botschaft, dass von Europa einst nur seine Romankunst wird noch Zeugnis ablegen können, dieser künstlerische Totalitarismus sozusagen, mit dem sich der Autor gegen die Fatalitäten aller anderen mit dem Namen Europas verbundenen Totalitarismen stemmt, das Gute zum Zeugen rufend gegen das Verheerende, verwässerter als früher. Oder, um es anders zu sagen: Der dritte Aufguss ist etwas dünn geraten. Woran liegt das? Abgesehen davon, dass es dritte Aufgüsse nie besonders in sich haben, liegt das Fatale des Vorhangs meines Erachtens daran, dass Milan Kundera sein romantechnisches Prinzip der Kleinteiligkeit, welches ich ansonsten so schätze - Die Unwissenheit zum Beispiel bringt es auf knapp 180 Seiten doch tatsächlich auf die stattliche Zahl von alles in allem 53 Kapiteln -, nun auch auf jene Prosa anwendet, die über den Roman respektive die Kunst spricht. Will sagen: was zunimmt, ist der Hang zum Anekdotischen, Aphoristischen, schnell den roten Faden Verlierenden und ihn später, wenn es gerade passt, wieder Aufnehmenden.

In sagenhafte 74 Häppchen zerfällt das Buch, versammelt auf sieben Tellern, die sein Autor Teile nennt. Das ganze Inhaltsverzeichnis beansprucht 4 Seiten, die wir von jenen 224 Seiten abzuziehen haben, welche die Gesamtseitenzahl repräsentieren, so dass jedem Häppchen nach korrekter Division 2,94 Seiten bleiben, um seinen Geschmack zu entfalten. Und das - mit Verlaub - ist zu wenig. Zu wenig, wenn man bedenkt, welch hochtrabende Namen die Teller tragen, wir erwähnen als Beispiele nur Teller 1 (Bewußtsein der Kontinuität), Teller 2 (Die Weltliteratur) - mein Gott, was für eine Überschrift für knappe 30 Seiten - und Teller 5 (Ästhetik und Existenz). Zu wenig auch für das ehrgeizige Ziel des Buches, dem europäischen Roman auf den Thron der Künste zu verhelfen.

Und so warten wir denn weiter. Sicher wird es wieder ein paar Jahre dauern, ehe Milan Kundera sein nächstes Buch herausbringt. Ich denke aber, dass es auf jeden Fall ein Roman sein wird. Weil er Übermenschliches von dieser Gattung der Kunst verlangt, wird er sich schwer damit tun, keine Frage. Aber er wird es noch einmal wagen. Davon bin ich überzeugt.

© 2005 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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