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Matti Rönkä:
Bruderland. Kriminalroman
Dortmund: Grafit Verlag GmbH 2008, 222 Seiten
ISBN 978-3-89425-656-2
Viktor Kärppä ist zurück




Ganz am Anfang liegt ein junger Mann im Schnee, der unaufhörlich auf seinen erkaltenden Körper herunterrieselt. Immer dichter umschließen die weißen Kristalle die makellose Gestalt, bis die sich in eine Schneewehe verwandelt hat. Dann, 14 Stunden später, erscheint ein Räumfahrzeug, um Straßen, Höfe und Parks wieder zugänglich zu machen. Und da dessen Fahrer sein Metier beherrscht, gelingt es ihm, den toten Körper unversehrt zu bergen. Der Rest ist Polizeiarbeit. Der Tote wird von Eis und Schnee befreit, "die letzten Reste tauten im Leichensack und rannen schließlich als dünnes Bächlein auf den Obduktionstisch und in die Kanalisation." Was für ein Satz. Und was für ein Buch, das mit Sätzen wie diesem gespickt ist.

Mit Bruderland knüpft Matti Rönkä, Jahrgang 1959 und hauptberuflich als Nachrichtensprecher beim finnischen Fernsehen beschäftigt, nahtlos an den Erfolg seines Erstlings Der Grenzgänger (inzwischen auch als Taschenbuch bei GRAFIT) an. Weil die Helsinkier Polizei schnell herausfindet, dass verunreinigtes Heroin den Tod des Jungen im Schnee verursacht hat, benötigt man einen Insider, um zu eruieren, auf welchen Wegen der gefährliche Stoff ins Land kommt und wer sich seiner hier annimmt. Und wer anderer käme für diesen Auftrag in Frage als Viktor Kärppä, der sich nicht nur in der Szene auskennt, sondern auch über gute Kontakte nach Russland verfügt, wo die Petersburger "Kassen" langsam die Geduld verlieren. Dass zur gleichen Zeit auch noch sein Bruder bei ihm auftaucht, während die Freundin zum Studium in den USA weilt, macht die Sache nicht einfacher.

Der Rest ist Coolness, Understatement und ein Ton, der noch die ungeheuerlichsten Dinge voller Ruhe und Lakonie, so scheinbar emotions- wie sprachlich schmucklos, gerade deshalb aber mehr als wirkungsvoll vor dem Leser ausbreitet. Weil Kärppä sie alle kennt, die Dealer und die Killer, die Polizisten und jene, die sie jagen oder von denen sie bestochen werden, die ganze Schattenwirtschaft vom mit seiner Ware an der Ecke stehenden Kleinkriminellen bis zum international agierenden russischen Paten, der mit einem Fingerschnippen kleine Armeen in Marsch setzen kann, klärt er am Ende irgendwie den Fall. Doch weit mehr als der klassische Krimiplot nehmen die Verhältnisse gefangen, in denen sich alle Figuren dieses schmalen Romans bewegen, fesselt die Normalität des Unnormalen, das Unalltägliche des brutalen Alltags, der Wahnsinn einer Welt im Umbruch.

Bruderland lässt sämtliche Grenzen verschwimmen. Nicht nur die rellen des Baltikums, über die hinweg fleißig gedealt, verschoben und geschmuggelt wird, sondern auch jene zwischen Gut und Böse, Schwarz und Weiß, erlaubt und verboten, moralisch und verwerflich. Wenn man dem großartigen Roman des Finnen eine Farbe zuordnen müsste, dann würde die Farbe Grau wohl das Rennen machen. Und sollte man ein Licht aussuchen, in welchem seine Figuren bevorzugt agieren, es käme nur das Zwielicht in Frage. Und doch: Hinter aller Abgeklärtheit, Härte und Illusionslosigkeit, mit der Matti Rönkä seine zentrale Figur auftreten lässt, wird auch der Mensch Kärppä immer wieder sichtbar, verletztlicher, als er sich nach außen hin gibt, um die ihm Nahestehenden besorgt und voller - für ihn selbst nicht ungefährlichem - Mitgefühl für all jene, die in ihrem gnadenlosen Kampf ums Überleben täglich mehr riskieren müssen.

Rönkä hat den schnörkellosen Ton der klassischen amerikanischen Hard-boiled-Geschichten ins moderne Finnland übertragen. Aber was heißt hier modern? Im Grunde geht es eher archaisch zu in einer Gesellschaft, in der alte Orientierungsmaßstäbe außer Kurs geraten sind und neue nirgendwo aufscheinen. Viktor Kärppä ist Rönkäs exemplarische Figur für diese Situation. Einerseits eiskalter Engel, andererseits Familienmensch voller geheimer Sehnsüchte und Wünsche, deren Erfüllung ihm die Gegenwart verweigert, die er aber dennoch nicht von seiner inneren Agenda zu streichen bereit scheint. Ein Suchender ohne viel Aussicht auf Erfolg - doch mit Anstand und Würde begabt.



© 2008 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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