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Die aktuelle Rezension
(Juli 2009)

Lilo Beil:
Die schlafenden Hunde
Saarbrücken: CONTE Verlag 2009,
189 Seiten
ISBN 978-3-936950-87-8
Schlafende Hunde soll man nicht wecken




Nach Gottes Mühlen (2007) und Das Licht unterm Scheffel (2008) hat sich Lilo Beils Serie um den sympathischen Kommissar Friedrich Gontard nun mit Die schlafenden Hunde zur veritablen Trilogie gemausert. Hat der Leser die Hauptfigur in den 50ern kennengelernt, noch ganz mit den Traumata des ein Jahrzehnt zurückliegenden Krieges behaftet, so spielte der zweite Band in der Universitätsstadt Heidelberg vor der Hintergrund der einsetzenden Studentenbewegung. Nun, wenn er zum dritten Mal in einen Fall verwickelt wird, dessen Lösung in der Vergangenheit liegt, ist Friedrich Gontard Mitte 50, verheiratet mit Anna, der Pfarrerstochter aus Pfaffenbronn - dem Ort seines ersten großen Falls -, die inzwischen Lehrerin ist, und stolzer Vater eines gerade sechs Jahre alten Mädchens.

Die Tochter, Lilli, ist es denn auch, mit der Lilo Beil, geschickt wie immer, ihr Buch beginnen lässt. Mit einer Schar als Piraten maskierter Gleichaltriger tobt sie am Nachmittag ihres Geburtstages durch den Wald nahe Hohenems. Hierher, aufs Dorf, in den vorderen Odenwald, ist die Familie, darin ganz im Trend der Zeit liegend, gezogen. Mannheim ist nur eine halbe Stunde entfernt und die Fahrt nach Ludwigshafen, wo Gontard inzwischen zum Chef der Kripo aufgestiegen ist, nimmt der Kommisssar gern auf sich, um seiner Familie ein kleines Idyll abseits von Lärm und Hektik der stetig wachsenden Ballungsgebiete zu bieten. Dass dieses Paradies allerdings auch seine dunklen Seiten hat, wird spätestens in dem Moment deutlich, da die unbeschwert spielenden Kindergeburtstagsgäste nicht weit vom Dorf entfernt, am sogenannten Hexehäusel, auf eine Frauenleiche stoßen.

Bei der Ermordeten handelt es sich um Madeleine Duval, das französische Au-pair-Mädchen der Familie Gontard. Stets freundlich und voller Ideen - den "Piratengeburtstag" hat sie über Wochen vorbereitet und ist bei der Schnitzeljagd, die so grausam endete, der kleinen Gesellschaft vorausgelaufen - war sie ihren Gastgebern wie ein eigenes Kind ans Herz gewachsen, außerordentlich an deutscher Geschichte und Kultur interessiert, überall gern gesehen und alles andere als eine Herumstreunerin. Als die Polizei - der seinen Urlaub ausnahmsweise einmal zu Hause verbringende Friedrich Gontard fühlt sich ein wenig mitschuldig am Tode des jungen Mädchens und unterstützt den zuständigen Kollegen aus der Odenwälder Kreisstadt - ihre Ermittlungen aufnimmt, kommen trotzdem bald Dinge ans Licht, die das gewaltsame Ende der Französin in einen größeren Kontext einbinden. Und schließlich lenken ein weiterer merkwürdiger Todesfall sowie etliche anonym eingehende Briefe die Aufmerksamkeit auf die Großkopfeten in der Gemeinde.

Auch Die schlafenden Hunde bringt einen aktuellen Kriminalfall in Verbindung mit der inzwischen mehr als drei Jahrzehnte zurückliegenden deutschen Schreckenszeit. Nichts ist vergessen und die Täter von damals leben noch. Als Madeleine ihren Aufenthalt bei einer deutschen Familie nutzt, um ein bisschen Licht in ihre eigene Familiengeschichte zu bringen, büßt sie dafür mit ihrem Tod. Ihr Mörder aber ist andererseits selbst ein Opfer von nationalistischem Wahn und Fremdenhass, seine Tat so sinnlos wie erklärbar aus einem freudlosen Leben in Lüge und Verblendung.

Lilo Beils neuer Roman hat seine Stärken - und darin ist er seinen beiden Vorgängern überaus ähnlich - da, wo er versucht, über den im Mittelpunkt stehenden Kriminalfall und seine Lösung hinaus ein Porträt der Zeit, in der er spielt, zu vermitteln. Diesmal also sind es die 70er Jahre, wo "drohende Eltern" eher selten geworden sind, Hippiebusse durchs Land fahren, der so genannte "Deutsche Herbst" noch allen gut im Gedächtnis ist und Heino, Gitte, Bob Dylan und Donovan aus den Radios heraussingen. Man fährt Manta, die großen Supermärkte machen es den kleinen Tante-Emma-Läden immer schwerer, Linkshänder werden nicht mehr auf die "richtige" Hand umgeschult und billige Absteigen und Hamburgerbuden schießen wie Pilze aus dem Boden. Nachdem die Achtundsechziger das Generationsproblem angegangen sind und ihre Eltern gezwungen haben, endlich Farbe zu bekennen und die längst fällige Aufarbeitung ihrer Vergangenheit zu leisten, liegt freilich immer noch vieles im Argen. Diese schlafenden Hunde dennoch zu wecken, so macht die Autorin deutlich, ist aber notwendig, wenn man einen Neuanfang ernstlich vorhat, die bundesrepublikanische Nachkriegsgesellschaft in Gewässer steuern will, in denen sie zu einem verlässlichen Partner für andere zu werden vermag und aus der Erinnerung an furchtbare Zeiten die Kraft zu einem dauerhaften Umdenken gewinnt.

Dass die Argumentation - auch die in den Figurenreden - ab und an etwas zu hölzern-didaktisch wirkt, die Selbstentlarvung des Mörders am Schluss arg schlicht inszeniert ist und zwischendurch das eine oder andere Bild etwas schief wirkt - Auf Seite 29 rennen Spürnasen gegen Wände, auweia! -, wollen wir verzeihen. Dass auf Seite 116 ein und derselben Person zwei Namen - Reinfelder und Reinberger - zugeteilt werden: Peanuts! Was aber bleibt, sind ein paar eindrucksvolle Naturbilder, die liebevolle Zeichnung der Region bis hinein in den Dialekt, das immer spürbare Bemühen, Zeitgeschichte kritisch anzupacken und eine Reihe feiner Figurenporträts. Auf den nächsten Band der Serie aber freuen wir uns ganz besonders, denn er dürfte sich die Zeit der Wende vorknöpfen. Friedrich Gontard als Entwicklungshelfer im Osten des Landes? Wir sind gespannt!



© 2009 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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