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Kerstin Hensel:
Falscher Hase. Roman
München: Luchterhand Literaturverlag 2005, 223 Seiten
ISBN 3-630-87206-9
Geschichten aus dem Untertanenland




Dies ist die Geschichte von Heinrich Theodor und Heini Paffrath. Sie beginnt und endet in Berlin. Am Anfang schreibt man die zwanziger, am Ende des Buches die neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Es versteht sich deshalb von selbst, dass eine Menge an Historie und Politik die Biographien der beiden Männer tangiert. Was ihnen geschieht in diesem Land untermalen zuerst "Sieg-Heil" - Ovationen, anschließend "Bau-auf-Bau-auf" - Chöre und schließlich die auch uns Nachgeboren noch in den Ohren gellenden "Wahnsinn" - Rufe der Wendezeit.

Doch Heinrich Theodor wie später Heini stehen seltsam blutleer und initiativarm im Strom der Geschichte herum. Bekommt ersterer wenigstens noch eine Frau, mit der er schließlich letzteren zeugen kann, endet das Geschlecht der Paffraths mit dem Polizisten Heini so abrupt wie verdient. Und um einen seltsamen Zeitgenossen handelt es sich bei ihm in der Tat. Nichts vermag ihn zu begeistern, wenig reißt ihn mit. Wo andere sich ihr Stück aus dem Kuchen des Lebens herausbeißen, fehlt ihm schon mit knapp zwanzig Jahren das dazu nötige komplette Zahnwerk. Und weil er mit den Möglichkeiten, Moden und Freiheiten des Westens wenig anfangen kann, landet er schließlich fast folgerichtig in der DDR.

Es soll wohl so eine Art deutscher Untertanen-Geschichte sein, die Hensel uns erzählt. Die Moritat vom deutschen Manne, der sich am liebsten mitschleifen lässt und der gerade in Diktaturen, wo man ihm keine eigenen Entscheidungen abverlangt, am zuverlässigsten funktioniert. Allerdings trägt sie ziemlich dick - während seines Lebens im deutschen Arbeiter- und Bauernstaat begeht Heini drei Morde, ohne auch nur ein einziges Mal in Verdacht zu geraten - und symbolsatt auf, was dem Leser, der anfangs nicht ohne Interesse in die Geschichte eines total vereinsamten Sonderlings eingestiegen ist, mit zunehmender Lektürezeit den Spaß verdirbt. Doch Spaß, so muss die Autorin wohl verstanden werden, soll auch niemand haben an diesem deutschen Leben im Jahrhundert der totalitären Ideologien.

Die Geschichte der Familie Paffrath wird übrigens aus einer weit in die Vergangenheit schweifenden Rückblende heraus erzählt. Zeit dafür hat Heini nach seiner Pensionierung, mit welcher der Roman einsetzt. Plötzlich gibt es keine Pflichten mehr, die, unhinterfragt, das Rückgrat seines Lebens bildeten. Plötzlich stürzt ein Berg von Zeit auf diesen Gewohnheits- und Instinktmenschen ein, der ihn unter sich begraben würde, suchte er seine Existenz nicht vor sich selbst durch Rückgriff auf ihre Quellen zu rechtfertigen. Und langsam, chronologisch, Abschnitt für Abschnitt in die lapidaren Begebenheiten seines ersten Tages in der großen Freiheit eingepasst, entsteht das Bild eines Menschen ohne eigene Identität. Eines Mitläufers, dem Subjektives immer verdächtig ist und der alles flieht - und später bereitwillig denunziert -, was nach Unangepasstheit riecht.

Dass eine solche Biographie nicht gut ausgehen kann, muss dem Leser von der ersten Seite an klar sein. Und am Schluss betritt Heini Paffrath tatsächlich wieder den Ort, an dem der Text seinen Ausgangspunkt nahm, das Polizeirevier, in dem er 30 Jahre Dienst tat. Fast flehentlich streckt er seinem ehemaligen Vorgesetzten nun die Handgelenke hin, um sich selbst verhaften zu lassen. Ein Mann wie er erträgt keinen einzigen Tag, der ihn mit seinem hässlichen Spiegelbild konfrontiert. Sind die Paffraths Opfer? Kerstin Hensel vermeidet es, den Umständen den Schwarzen Peter zuzuschieben. Niemand zwingt den alten Paffrath in die Nazipartei. Und in den Ordnungsstaat DDR entweicht sein Sohn, einer an ihm wenig interessierten Zahnarzthelferin folgend, ganz freiwillig. Es ist also eher so, als fände mit diesen beiden Figuren ein ganz bestimmter Typus Mensch das ihm gemäße Biotop, wären Faschismus und Staatssozialismus Systeme, die einer Spezies entgegenkämen, der das Grundvertrauen in sich selbst von Anfang an genommen ist, die durch sture Pflichterfüllung kompensiert, dass ihr die Luft zum freien Leben fehlt.

Nicht zuletzt ist Falscher Hase aber auch ein Generationsroman, in dem die Väter schwer - fast kafkaesk - auf ihren Söhnen lasten, so schwer, dass diese erst aufzuatmen vermögen, wenn jene dahin sind und ihre dominierende Rolle an die nächste Generation weitergegeben haben. Dass Heini Paffrath, der sein Leben lang darunter leidet, dass er kein omnipotenter Heinrich ist wie sein Vater, sondern nur die kleinere Version dieses Tyrannen, nachkommenslos bleibt, lässt einen dabei fast aufatmen. Denn vielleicht ist sie nun endlich und für immer unterbrochen, jene unheilvolle Linie, die deutsche Söhne im Fahrwasser ihrer Väter in immer schlimmere Katastrophen schlittern ließ.

© 2005 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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