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Die aktuelle Rezension
(Januar 2006)

Kathrin Schmidt:
Seebachs schwarze Katzen
Köln: Kiepenheuer & Witsch 2005, 285 Seiten
ISBN 3-462-03612-2
Romeo must remember




Dies ist - nach Die Gunnar-Lennefsen-Expedition (1998) und Koenigs Kinder (2002) - der dritte Roman von Kathrin Schmidt. Erneut geht es um das Verhältnis von Geschichte und Gegenwart, welches die Autorin zur Sprache bringt, indem sie verschiedene Generationen miteinander konfrontiert. Und wieder wird jener Stil bemüht, der sich überdeutlich dem Einfluss des sogenannten Magischen Realismus verdankt und damit in der aktuellen deutschen Literatur nahezu singulär dasteht.

Erzählt wird die Geschichte des Bert Willer, den im wiedervereinigten Deutschland kurz nach der Jahrtausendwende die einst wie eine Schlangenhaut abgestreifte Vergangenheit ereilt. Eines Tages nämlich findet der Sohn des Verwitweten bei seinem Vater Papiere, die belegen, dass Willer bis zur Wende für die Staatssicherheit arbeitete und dies keineswegs nur vom Schreibtisch aus. Als sogenannter Romeo auf feindlich-negative Personen des anderen Geschlechts angesetzt, hat er offensichtlich über Jahre hinweg ein Doppelleben geführt und in diesem nicht wenig Schuld angehäuft. Inwieweit zu letzterer auch die Mitverantwortung am Suizid der eigenen Frau gehört, erörtert der Roman zwar nicht explizit, da das Lügengespinst des Bert Willer nach dem Systemwechsel aber nach und nach Löcher bekommt und zumindest eine der von ihm bespitzelten Frauen Kontakt mit seiner Angetrauten aufgenommen hat, darf man es wohl vermuten.

Einen großen Teil des Romans nimmt die Reise von Bert und David Willer nach Teneriffa ein. Sie wird für beide zu einer Art von Initiationserlebnis und Schmidt stattet sie überreich - zu überreich - mit symbolischen Akten aus. Angezettelt vom Vater, um seinen nach dem Tod der Mutter immer mehr in Schweigen verfallenden Sohn wieder enger an sich zu binden, eine neue Form von Familiarität ohne Mütterlichkeit zu stiften, gerät das Unternehmen schon bald ins Schlingern. Schuld daran sind weniger die Reisebekanntschaften, die von einer allein stehenden Frau, mit der Vater und Sohn schlafen, bis zu einer streunenden Hündin reichen, die der Sohn aufpäppelt, um sie alsbald wieder an die Straße zu verlieren, sondern das Erinnern, welches durch die anklagende Stummheit des Sohnes im Vater allmählich in Gang gesetzt wird und ihn nicht mehr zur Ruhe kommen lässt.

Vorzeitig nach Berlin zurückgekehrt, begibt sich Willer deshalb unverzüglich auf die Spuren des Vergangenen. Sie führen ihn - der sich in der Gegenwart scheinbar komfortabel und ohne jegliche Gewissensnöte eingerichtet hat - auf weitgehend ungesichertes Gebiet. Tief in den Südwesten der Republik muss er fahren, ehe er sich selbst als demjenigen begegnen kann, der er einmal war. Und wenn er schließlich am Ende des Romans einer Frau namens Bejla gegenübersteht, deren Jenaer Bekanntenkreis er einst aushorchte, indem er Liebe zu ihr simulierte, da scheint es fast so, als begegnete ihm in diesem einstigen Opfer, dessen psychische Wunden immer noch bluten, die eigene, tote Frau mit anklagendem Blick.

Seebachs schwarze Katzen ist ein schwieriges Buch. Es verurteilt nicht mit erhobenem Zeigefinger, richtet nicht über die Untaten der Vergangenheit, sondern lässt diese einfach unterirdisch fortwirken. Nichts ist vorbei, auch wenn die Wende scheinbar einen Schlussstrich zieht. Bert Willer darf sich ein neues Leben einrichten, aber die Signale, die ihn an seine zurückliegende Existenz erinnern, machen ihm dieses neue Leben allmählich zur Hölle. Am Ende kann er nicht einmal mehr unterscheiden zwischen dem Gewesenen und dem, was ist. Alle Zeit fließt ineinander und holt den ein, der ihr zu entfliehen suchte.

Seebachs schwarze Katzen ist ein ambitioniertes Buch. Das durfte, wer Kathrin Schmidts bisherige Romane kannte, auch nicht anders erwarten. Allerdings ist die der Autorin eigene Ambitioniertheit mit diesem Roman auf einer Höhe angekommen, wo der Schwindel einsetzt und der Absturz droht. Mehr an exotischer Metaphorik geht nicht. Und auch kein Mehr an schiefen Bildern wie dem "näselnden Regen" auf Seite 162, der sich als "nieselnder" Regen sicher wohler fühlte, oder der Hündin, die Dinge mit der Schnauze "aufgreift", um nur zwei von vielen unangenehm berührenden sprachlichen Schludrigkeiten anzuführen.

Und schließlich ist Seebachs schwarze Katzen - typisch Kathrin Schmidt - ein Roman mit einer allegorischen Hauptfigur, nämlich der Zeit. Als beleibtes Weiblein in weiten Röcken - "Fettvettel Zeit" nennt sie das Buch, wir dachten unwillkürlich an Grassens greise Anna Bronski am Kartoffelfeuer in der Blechtrommel - thront sie in unerschütterlicher Ruhe über allem, was da ist. Diese Zeit hat wirklich Zeit, kann warten, bis die Dinge ins Rollen kommen. Sie vergisst nichts und niemanden. Und wer glaubt, ihr im Rücken sitzend unbeobachtet zu sein, wird sich wundern, wenn sie sich umdreht.

© 2006 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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