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Die aktuelle Rezension
(August 2010)

Jussi Adler-Olsen:
Schändung

München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2010,
460 Seiten
ISBN 978-3-423-24787-0


... alles andere aus der Krimiwelt
täglich bei:

Treibjagd




Mit Erbarmen hat er sich auch in die hiesigen Bestsellerlisten geschrieben: Jussi Adler-Olsen, der Däne (Jahrgang 1950), der drauf und dran scheint, in der Beliebtheitsskala nordischer Kriminalschriftsteller den Schweden Stieg Larsson beim deutschen Publikum abzulösen. Und die Idee, einen ständig aneckenden, eigenwilligen Kommissarstypen, der noch dazu psychisch angeknackst ist, weil er sich die Schuld an einem Fall, der tragisch endete, gibt, in den Keller des Kopenhagener Polizeipräsidiums zu verbannen und mit ungelösten Fällen aus der Vergangenheit ruhig zu stellen, ist ebenfalls nicht schlecht.

Allerdings hat schon der erste der geplanten zehn Bände um Carl Mørck, seinen syrischen Assistenten Hafez el-Assad, dessen Impulsivität Fällen, die einzuschlafen drohen, wieder den entscheidenden Kick zu geben vermag, sowie die in Band 2 der Reihe hinzukommende, ausgesprochen skurril angelegte Rose Knudsen die Latte so hoch gelegt, dass man fast befürchten musste, jeder weitere Aufschwung in Sachen Brutalität und Gewalt, jeder noch so kleine zusätzliche Dreh an der Spannungsschraube werde mit einer Einbuße an Glaubwürdigkeit zu bezahlen sein. Ganz so schlimm kommt es nun mit Schändung zwar (noch) nicht. Gleichwohl ist die Gefahr unverkennbar, dass es nicht unbedingt acht weiterer Bände bedarf, um eine Grenze zu erreichen, an der man besser aufhört, statt in Routine zu verfallen. Und das wäre angesichts des Potenzials, über das Jussi Adler-Olsen verfügt, wirklich ein Jammer.

Auch Schändung präsentiert, wie sein Vorgänger, eine Rachegeschichte. Wurde dort eine Politikerin von einem tragischen Vorfall aus ihrer Vergangenheit eingeholt und zur Rechenschaft gezogen für etwas, woran sie nur indirekt die Schuld trug, so jagt nun ein weiblicher Racheengel ohne jegliche Skrupel hinter einer guten Handvoll Großkopferter her. Die scheinen aus ihrer gesellschaftlichen Stellung das Recht abzuleiten, sich über sämtliche ethisch-moralischen Grenzen hinwegsetzen zu dürfen. Schon während ihrer Internatszeit spielten die knapp zwanzig Jahre später zur dänischen High Society Zählenden gerne mit dem Leben anderer. Vor Konsequenzen beschützte sie ganz selbstverständlich der Einfluss ihrer vermögenden Eltern. Inzwischen ist aus Ditlev Pram ein schwerreicher Klinikbetreiber geworden, Torsten Florin hat sich einen internationalen Ruf als Modedesigner erworben und Ulrik Jensen leitet ein einflussreiches Institut für Börsenanalysen. An ihren Charakteren freilich hat der steile Aufstieg nichts geändert.

Allerdings gerät das teuflische Trio, das sich auf seinen weitläufigen Besitztümern gern zu illegalen Treibjagden trifft, im Verlauf von Olsens Roman gleich von zwei Seiten aus unter Druck. Zum einen ist da die abtrünnige "Kimmie" Lassen, einst zentrale Figur der Clique, der aber so übel mitgespielt wurde, dass sie nun auf Rache sinnt. Und andererseits hat sich wie von Zauberhand auf Carl Mørcks Schreibtisch die Akte eines Falls eingefunden, der eigentlich als aufgeklärt gilt. Aber hat jener Bjarne Thøgersen, der für einen Doppelmord, den er selbst eingestanden hat, seit Jahren hinter Gittern sitzt, die grausame Tat wirklich begangen? Oder deutet die Tatsache, dass sich während seines Gefängnisaufenthaltes ein ordentlicher Batzen Geld auf seinem Konto angesammelt hat, nicht eher darauf hin, dass er für sein Geständnis von den wahren Tätern fürstlich bezahlt wurde?

Schritt für Schritt kommt Kommissar Mørck dem Geheimnis des seit beinahe zwanzig Jahren unaufgeklärten Falles auf die Spur. Und einmal dran an den Dreien, die glauben, sich alles erlauben zu können und ihre Beziehungen in die Politik und zu den Spitzen der Polizei munter spielen lassen, um den unbequemen Wühler im Vergangenen schnell wieder loszuwerden, nimmt er den Fuß auch nicht mehr aus der Tür. Das Ende erfolgt in einem blutigen Showdown, in dem diejenigen, die sich immer wie Tiere aufgeführt haben, auch wie Tiere enden. Und Mørck, der samt Assistenten mitten in die Schusslinie gerät, kann sich endlich auch ein bisschen der Aufmerksamkeit der Polizeipsychologin Mona Ibsen erfreuen, die ihn bis dahin immer auf Distanz zu halten wusste. Von einem wirklichen Happy-end aber ist er immer noch weit entfernt.

Schändung ist ein Thriller, den man erst aus der Hand legt, wenn die letzte Seite erreicht ist. Gekonnt schaltet Jussi Adler-Olsen zwischen den zwei Zeitebenen, auf denen der Roman spielt, hin und her, ohne allerdings so hundertprozentig zu überzeugen, wie ihm das zuvor - auch erzähltechnisch - in Erbarmen gelang. Es liegt in diesem zweiten Fall um Mørck und Co. eben einfach von Anfang an zu vieles offen für den Leser. Über die Identität der Täter besteht nie ein Zweifel - und wenn gegen Ende aufgedeckt wird, wer die Jäger von einst in der Gegenwart ins Visier nimmt und warum, überrascht einen das auch nicht mehr sonderlich. Eher verwundert man sich ein bisschen darüber, dass die mörderischen Rabauken aus den Achtzigern so ganz und gar keine Entwicklung durchgemacht zu haben scheinen. Aber vielleicht stimmt ja, was der Roman an einer Stelle nahelegt: Dass die moderne Geschäftswelt nämlich einem Schlachtplatz gleicht, auf dem derjenige am schnellsten vorankommt, der zuerst und ohne jegliche Rücksicht auf den anderen zuschlägt.


© 2010 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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