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Die aktuelle Rezension
(Januar 2010)

Jussi Adler-Olsen:
Erbarmen

München: Deutscher Taschenbuch
Verlag 2009, 419 Seiten
ISBN 978-3-423-24751-1
Die Verschwundene




Merete Lynggaard sitzt für die Demokraten im dänischen Folketing. Charisma und Erfolg zeichnen die junge Politikerin aus. Männer reißen sich um sie. Die Presse - ob seriös oder Boulevard - himmelt sie an. Natürlich gehört ihr die Zukunft. Und selbstverständlich wird sie ob ihrer Beliebtheit auch kräftig gehasst von all jenen, denen sie locker die Show stiehlt. Als sie allerdings 2002 während eines Urlaubswochenendes mit ihrem behinderten jüngeren Bruder, um den sie sich seit dem Unfalltod der Eltern aufopferungsvoll kümmert, plötzlich von einem Fährschiff verschwindet und nicht wieder auftaucht, sind Freunde und Feinde gleichermaßen schockiert. Was steckt hinter diesem geheimnisvollen Verschwinden einer Person mit derart hohem öffentlichen Bekanntheitsgrad? War es ein Unfall? Ein Verbrechen? Eine Familientragödie?

Während die Ermittlungen der dänischen Polizei im Fall Merete Lynggaard nach einiger Zeit ergebnislos im Sand verlaufen und schließlich eingestellt werden, ist der Leser von Jussi Adler-Olsens Thriller Erbarmen besser dran. Er weiß nämlich von Beginn an, dass Merete auch fünf Jahre später, im Frühjahr 2007, noch lebt, eingesperrt in eine Druckkammer auf dem Gelände einer stillgelegten Fabrik und rund um die Uhr bewacht und beobachtet von Personen, die aus ihrem Hass auf die Frau keinen Hehl machen. Aber aus welchem Grund wird sie hier gefangengehalten? Und weshalb erhöhen ihre sadistischen Bewacher an einem bestimmten Tag in jedem Jahr den Druck in der Kammer?

Bisher wurden die besten Krimis des europäischen Nordens immer in Schweden geschrieben. Maj Sjöwall und Per Wahlöö, das legendäre Autorenduo, Henning Mankell, Håkan Nesser, Arne Dahl, Stieg Larsson, Liza Marklund - alles Schweden. Eine dänische Thrillerliteratur gab und gibt es zwar, aber jenseits der Landesgrenzen konnte sich kaum ein Autor durchsetzen. Oder kennen Sie von Dan Turéll, Leif Davidsen oder Ditte Birkemose mehr als ein Buch? Sie kennen gar keins? Na, sehen Sie. Und Peter Høegs Fräulein Smillas Gespür für Schnee (1994), die Sensation der neueren dänischen Literatur und nicht zuletzt durch die Verfilmung international bekannt geworden, ist unterm Strich auch mehr politisch-ökologischer Spannungs- und Agentenroman denn Thriller.

Nun aber Jussi Adler-Olsen. Der 1950 in Kopenhagen Geborene, der seit den späten Neunzigern Krimis schreibt, könnte es tatsächlich schaffen, in die Phalanx der herausragenden nordischen Krimiautoren einzudringen. In seiner Heimat ist er schon ein Star, seit 2007 dort Erbarmen erschien. Inzwischen hat er bereits drei Bände seiner Serie um das "Dezernat Q" vorgelegt, findet sich regelmäßig auf den dänischen Verkaufs-Bestsellerlisten wieder und die Presse überschlägt sich vor Begeisterung.

Bei Sonderdezernaten denkt der Leser, der sich ein bisschen auskennt, natürlich sofort an Arne Dahls berühmtes A-Team, die Stockholmer Spezialeinheit zur Bekämpfung von Gewaltverbrechen mit internationalem Charakter. Die könnte tatsächlich Pate gestanden haben bei dem im Keller des Kopenhagener Polizeipräsidiums einquartierten seltsamen Duo aus dem etwas verbraucht wirkenden Kommissar Carl Mørck und seinem Adlatus Assad, einem Syrer mit geheimnisvoller Vergangenheit, aber Fähigkeiten, die ihn bald unverzichtbar werden lassen für den brummigen Chef. Doch was bei Dahl mit maximalem Aufwand und von Buch zu Buch sich steigernder Intensität über die Bühne geht, wird bei Adler-Olsen wesentlich leiser - und auch komischer - orchestriert.

Mørck und Assad - ein tolles Paar. Und der erste Fall, den sich die beiden, die mit der Lösung von bisher unaufgeklärt gebliebenen Fällen der dänischen Öffentlichkeit dokumentieren sollen, das die Polizei des Landes besser ist als ihr Ruf und keine Mittel gescheut werden, um die öffentliche Sicherheit aller Bürger zu garantieren, vornehmen, ist natürlich jener der verschwundenen Politikerin Merete Lynggaard. Wie sie ihn angehen mit ihren so unterschiedlichen Talenten und Temperamenten hält den Leser in Atem über knapp 400 Seiten hinweg. Und der erzählerische Trick des Autors, die Geschichte der eingekerkerten Merete aus der Vergangenheit heraus bis in die Gegenwart zu erzählen, während die Ermittlungsarbeit des Gespanns Mørck/ Assad sozusagen den entgegengesetzten Weg einschlägt, sorgt für enorme Spannung, auch wenn man sagen muss, dass der miträtselnde Leser ziemlich bald dahinterkommt, wie die Dinge hier zusammenhängen. Es hat natürlich, wie so oft, mit der Vergangenheit zu tun - und wenn die Täter nicht so kaltblütig und ohne alle Skrupel vorgingen, könnte man glatt ein Fünkchen des Bedauerns für sie entwickeln.


© 2010 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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