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Juli Zeh:
Spieltrieb
Frankfurt/Main: Schöffling&Co. 2004, 572 Seiten
ISBN 3-89561-056-9
"... ab jetzt in moralfreien Räumen ..."




Zweifellos gehört Juli Zeh zu den aufregendsten Debütanten des letzten Jahrfünfts. Nach Adler und Engel (2000) und dem Reportageband Die Stille ist ein Geräusch (2002) ist Spieltrieb (2004) ihr zweiter und bislang umfangreichster Roman. Die Autorin, neben ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin zur Zeit noch mit einem Jurastudium befasst, hat sich darin die durchaus ehrgeizige Aufgabe gestellt, eine zeitkritische Analyse unserer Gegenwart im Genre des Schulromans vorzulegen. Dass sie sich damit gerade in der deutschsprachigen Literatur ins Fahrwasser bedeutsamer Texte begibt, ist ihr durchaus bewusst. Und alles andere als versteckt sind die Anspielungen auf einen der herausragenden Autoren der klassischen Moderne im deutschsprachigen Raum, Robert Musil nämlich, dessen Die Vewirrrungen des Zöglings Törleß (1906) zu den erschreckendsten fiktiven Zeugnissen des Schul(un)wesens zählt.

Allerdings: Werden bei Musil, Hesse und einer Reihe anderer Autoren noch die Schüler zu Opfern eines seine Repressivität ungehemmt an den Heranwachsenden auslebenden Systems und die Lehrer zu dessen buckelnden Vertretern und kaltherzigen Folterknechten, dreht Juli Zeh den Spieß einfach um: in ihrem Bonner Gymnasium sind es Schüler, deren herausragender Intellekt sich einen Lehrer als Opfer für ihr Machtspiel sucht.

In dieser Konstellation finden sich zugleich die Stärke und die Schwäche dieses so spannend wie gut erzählten, nur selten - und dann auf Grund seiner partiellen Konstruiertheit und des an das Vorbild Musil angelehnten "hohen" Tons - langweilenden Buches. Denn natürlich ist die Marotte der Eleven Ada und Alev, sich spieltheoretisch belesen zu machen und dann mittels der in pornographische Praxis umgesetzten Theorie einen gutherzigen Deutschlehrer zu Fall zu bringen, erneut nur ein Beweis für die Unfähigkeit des Systems, mit Aberrationen geglicher Art umzugehen. Andererseits wirkt das pubertierende Duo mit seinen teils arg gestelzten Dialogen doch ein wenig konstruiert. Mir ist bis dato noch kein Lehrer begegnet, der Geistesriesen von auch nur annäherndem Format in seinen Klassen sitzen hätte.

Doch offensichtlich geht es Juli Zeh weniger um die Darstellung des Leidenswegs verhinderter Genies, denen die Gesellschaft, innerhalb derer sie aufwachsen, schnellstmöglich alle Individualität zu nehmen sich bemüht, damit sie nicht auffallen unter all den anderen, die erzogen werden, um zu funktionieren. Nein, das Anliegen der Autorin ist wohl dort zu vermuten, wo sich hinter den vordergründigen Taten ihrer Gestalten gesellschaftliches Terrain öffnet. Denn natürlich hat die Schule in diesem Roman die Funktion, das Gemeinwesen, innerhalb dessen sie an sich nur ein Subsystem darstellt, für Kritik durchsichtig zu machen. Und in dieser Hinsicht geht Spieltrieb in der Tat an die Wurzeln eines Unbehagens in der Gegenwart, wie es heutzutage überall begegnet und eine Krise des Gesellschaftlichen nahelegt, wie sie in Deutschland virulenter lange nicht gewesen ist.

Wenn der Blick des Romans deshalb die Schulflure verlässt und auf die Straßen und in die Elternhäuser der Schüler geht, stößt er allüberall auf Desorientiertheit und Stumpfsinn, Dummheit und Eigennutz, Feigheit und Gewalt. Niemand sieht sich mehr im Besitz von Werten, die allgemein geteilt würden, und die meisten sind bemüht, unauffällig durch ein Dasein zu triften, dem alles Übergeordnete abhanden gekommen zu sein scheint. Kein Wunder deshalb, wenn der aus Polen stammende Lehrer gegen die ihm Gewalt antuenden Schüler letzten Endes auch nur mit Gewalt zu antworten vermag.

Wo nichts ende, könne nichts beginnen, liest man auf Seite 126. Und was da vor allem zu enden habe, wird auch deutlich ausgedrückt: das "Zeitalter der Zitate" (S. 136) nämlich. Wie dieses Ende allerdings zu bewerkstelligen sei, ob eine gemeinsame Anstrengung auf das Ziel eines Neubeginns hin überhaupt noch als friedliche Aktion zu denken ist, steht dahin.

Zehs Roman endet mit einer Gerichtsverhandlung und einem zagen Happy-End, dem ich als Leser nicht so recht zu glauben vermag. Immerhin schließt es einen labilen Pakt zwischen der Generation, die eben ins Leben tritt, und jenen Vertretern des Etablierten, die sich nie so recht einpassen konnten ins Tagesgeschäft des Laissez-Faire. Ihre Absage an die Laschheit der Gegenwart aber verpackt die Autorin in eine lange Rede, die sie ihre weibliche Hauptgestalt Ada als Zeugin vor den Schranken des Gerichts halten lässt, unbekümmert darüber, ob man sie hier versteht oder nicht. Darin wird, was scheinbar gilt, konsequent auf den Kopf gestellt und die Loslösung von allen tradierten Werten postuliert. Denn ein Richtiges, das sich aus dem Falschen heraus entwickelt, gibt es auch für Juli Zeh nicht.

© 2005 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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