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Die aktuelle Rezension
(Juli 2009)

Josef Rauch:
Rickeracke.
Ein "Max und Moritz"-Roman


Nidderau: Verlag M. Naumann 2008,
142 Seiten
ISBN 978-3-940168-27-6
"Ach, was muss man oft von bösen ..."




"Ach, was muss man oft von bösen Kindern hören oder lesen!" So geht's los - und wer kennt sie nicht, Wilhelm Buschs (1832 - 1908) genial-brachiale Bildergeschichte Max und Moritz von 1865. Buschs Verleger hat sie reich, den Autor und Zeichner selbst berühmt gemacht. Und jeglicher Zeigefingerpädagogik von Lehrer Lämpel bis Lehrer Bueb stärkte sie den Rücken, indem sie zwischen den Zeilen und hinter den Illustrationen drohte: "Unrecht Gut gedeihet nicht!"

Aber müssen die beiden Lümmel gleich zur Mühle gebracht, zermahlen und von "Müllers Federvieh" gefressen werden? Buschs kleinbürgerliches Personal freut sich natürlich, weil es von Reformpädagogik und Waldorfschulen noch keine Ahnung hat und nie auf die Idee käme, jugendliche Verbrecher mit dem heute üblichen Satz "Kai-Uwe, wir müssen reden!" einzuschüchtern. Lieber haut man drauf und hofft, dass das blaue Auge noch viele andere abschreckt, ehe es wieder verschwindet.

150 Jahre nach Busch hat die Sache jedenfalls ihre Eindeutigkeit verloren und damit auch das Prädikat "Pädagogisch wertvoll". Ja, es ist sogar möglich, dass man den alten Wilhelm und seine beiden Buben hernimmt und vom Kopf auf die Füße stellt. Dann wären die kleinen fiesen Attentate, mit denen das minderjährige Gesocks Witwe Bolte, Schneider Böck, Lehrer Lämpel, dem Onkel Fritz sowie dem namenlosen Bäcker hart zusetzt, bevor Bauer Mecke und der Müller in Aktion treten, so etwas wie Aufbegehren gegen die Erwachsenenwelt. Eine Art Jugendrevolte, inszeniert gegen Scheinheilige und Duckmäuser, Biedermänner und Erzkonservative. Der Geist von 1968 - nur eben 103 Jahre früher und ohne Joschka Fischer. Ganz in diesem Sinne arbeitet Josef Rauch das Thema in seinem kleinen Roman Rickeracke auf. Der ein Krimi ist, was ja zur historischen Vorlage passt. Alles andere passt aber nicht. Denn in Rauchs Buch geschehen keine Lausbubenstreiche mehr, die auf die eine oder andere Weise zu bestrafen wären, sondern der fränkische Autor lässt eine Person in die Fußstapfen von Max und Moritz treten, die mit der Nachahmung der Taten dieser beiden Kinderbuchhelden auf ihre eigene prekäre Lage aufmerksam machen will.

Wenn des Autors Detektiv sich am Anfang aufmacht, um weit weg von den Städten, hinter einem unendlich großen schwarzen Wald auf einem heruntergekommenen Einödhof einem Auftrag nachzugehen, so hängt dem Ganzen zunächst einmal etwas Märchenhaftes an. Auch weil sein "Auftrag" darin besteht, den Mörder von vier Hühnern zu finden, die mit verdrehten Hälsen von den grotesken Hofbewohnern - einem Elternpaar mit schweigsamer Tochter - gefunden wurden. Aber die Zeiten sind schlecht und im Wartezimmer des Schnüfflers weben schon seit Längerem die Spinnen ihre Netze. Also setzt der Mann seinen ganzen Spürsinn ein und viel braucht es davon gar nicht, um die deutlichen Analogien zur Max-und-Moritz-Geschichte zu entdecken. Von da an verfolgt er mit dem in der kleinen Bibliothek der lesefreudigen Tochter zum Glück vorhandenen Buch unter dem Arm den unaufhaltsamen Fortgang der Dinge. Und die entwickeln sich - einhundertprozentig der klassischen Vorlage entsprechend - hin zu einem Schluss, der wirklich nicht mehr witzig, dafür aber in gewissser Weise unseren heutigen Zeiten entsprechend ist.

Rickeracke hat mir am besten da gefallen, wo es mit viel Sinn für Komik und Lakonik den Aufeinanderprall zweier Welten beschreibt. Wenn es dann die Texte und Bilder Buschs aufruft - die komplette Max-und-Moritz-Geschichte erscheint in den Text eingebunden -, goutiert man zwar zunächst die erfrischende Idee, sieht sich danach aber auch einer gewissen Stereotypie im weiteren Handlungsablauf ausgesetzt. Der schließlich erfolgende Bruch zum Ende hin - aus Retrospaß wird beinahe blutiger Ernst - ist mir dann zu abrupt. Eine Ansammlung von eigentlich unbedeutenden Streichen in den Verzweiflungsschrei einer geschundenen Seele umzudeuten, wird beiden - den Streichen und der Seele - nicht gerecht. Ganz und gar daneben liegen schließlich zahlreiche Vergleiche, weil ihnen das tertium comparationis abgeht. Was z. B. hat eine Brücke mit einem Mafioso zu tun? (S. 10) Wracks mit Beinen? (S.11) "Schlendernde" Schnecken? S. 132) Tränen, die schreien? (S. 134) Ein Erinnerungsvermögen, auf dem herumgetrampelt wird? (S.23) Lektorat! Aufwachen!



© 2009 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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