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Die aktuelle Rezension
(Januar 2009)

John le Carré:
Marionetten
Berlin: Ullstein Buchverlage GmbH 2008,
368 Seiten
ISBN 978-3-550-08756-1
Im Fadenkreuz der Holzköpfe




Marionetten sind Puppen, die mit Hilfe von Fäden bewegt werden. Es braucht mindestens eine Person, damit sie anfangen, sich zu rühren. Ihr ursprüngliches Baumaterial war Holz. Das musste hart sein, damit die Marionette ein langes Leben bruchlos überstand.

Marionetten in John le Carrés neuem, seinem 21. Roman, sind Menschen unserer Tage. Sie haben eigene Vorstellungen, Ziele und Wünsche, sind aber in ein Netz aus Fremdbestimmungen eingebunden, das ihnen bald keinen Spielraum mehr lässt. Und so tun sie halt, was andere sie aus Kalkül tun lassen, glauben sich dabei frei und scheitern am Ende umso tragischer. Le Carrés Marionetten sind übrigens nicht aus Holz. Als wahre Holzköpfe dagegen erweisen sich jene, die sie nach ihren Plänen tanzen lassen wollen.

Von Letzteren gibt es in diesem Buch wahrlich genug. Und weil es in Hamburg nach dem 11.09.2001 spielt und einen jungen, illegal nach Deutschland eingereisten tschetschenischen Moslem, Issa Karpow, zur Hauptfigur hat, weiß auch der Leser schon von der ersten Seite an, dass sich bald die Wölfe auf das Unschuldslamm stürzen werden. Eine gewisse Vorhersehbarkeit der Ereignisse ist, wenn man so will, denn auch die einzige Schwäche dieses Romans, der sich schnell zur aberwitzigen Geheimdienstfarce mit Anklängen an die grotesken Welten eines Friedrich Dürrenmatt entwickelt.

Schon bald nach seinem Erscheinen in der Hansestadt jedenfalls sieht sich Issa, der Arzt werden möchte, um der Not leidenden Menschheit zu helfen, in ein immer aberwitziger und gefährlicher werdendes Spiel verwickelt. Scheinbar will dem nichts ahnenden Simpel jeder Gutes tun. In Wahrheit aber wird er hinter den Kulissen, an denen fleißig die unterschiedlichsten Vertreter deutscher, englischer und amerikanischer Dienste werkeln, zu einem neuen Mohammed Atta aufgebaut. Auszahlen soll sich am Ende, was man an Geld und Personal in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends in Sicherheit investiert hat. Allein der Leser kann den Wahn dieses Denkens ermessen, wenn ihn der Autor mitten hinein führt in irrwitzige Konferenzen unfähiger Bürokraten, auf denen Entschlüsse reifen, die halbe Armeen sinnlos in Marsch setzen. Wahrlich viel Lärm um nichts.

Aber Issa steht ja nicht ganz allein. Ein regelrechtes Triumphirat des Guten setzt le Carré dem staatlich sanktioniertem Irrsinn entgegen. Da ist neben dem unschuldigen Helden seine Hamburger Anwältin Annabel Richter - jung, erfolgreich, unangepasst, aus sehr gutem hanseatischen Hause kommend und doch in keiner Weise durch diese Herkunft korrumpiert. Sie will Issa unterstützen und knüpft für ihn die Verbindung zum ortsansässigen Privatbankier Tommy Brue, dessen kleine Bank seit Jahrzehnten über dubiose Einlagen verfügt, die Issas Vater, ein skrupelloser russischer General, mit Hilfe westlicher Organisationen einst nach Hamburg transferierte. Nun soll, was der Militär bei unterjochten Völkern zusammengestohlen hat, in einen Hilfsfonds für die mit Leid Beladenen aus Issas Welt einfließen und nebenbei dessen Studium ermöglichen.

Bei soviel konzentrierter Güte, Unschuld und Kreuzbravheit - auch eine kleine Altersverliebtheit des etwas steif wirkenden brischen Finanziers in die reizende Hamburgerin und umgekehrt deutet sich an - hängt man sein Herz dann aber doch eher an die weniger Gerechten. Zumal jene nicht mit dem auf die Dauer etwas nervenden Weichzeichner porträtiert werden, sondern klare und einfache Konturen besitzen.

Marionetten ist ein abgeklärter, kenntnisreicher und engagierter Altersroman. Er setzt nicht auf Action und Suspense, sondern arbeitet mit Witz, Satire und Ironie am Bild einer Welt, in der jeder jedem misstraut und alle etwas von einem Kuchen abhaben wollen, der längst ungenießbar geworden ist. Hier fehlt sämtlichen Akteuren der Durchblick, was aber keinem das Handeln verleitet. Was unterm Strich bei solcher Unbedarftheit herauskommt, ist Politik wie sie jeder kennt: laut, selbstgerecht und verantwortungslos.

Frappierend übrigens die intime Kenntnis der Hamburger Schauplätze, für die der Autor, der in den frühen 60er Jahren bereits am Britischen Konsulat in der Elbestadt arbeitete, wohl so manche Recherchetour unternommen hat. Und nicht vergessen soll auch sein, dass es wohl das Schicksal des Deutschtürken Murat Kurnaz war, der mehr als viereinhalb Jahre unschuldig im berüchtigten Gefangenenlager Guantanamo Bay einsaß, welches John le Carré zu seinem Buch inspirierte.



© 2009 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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