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(Heft 4/1998)

Hans Joachim Schädlich:
Trivialroman. Roman
Berlin 1998, 158 Seiten
ISBN 3-498-06326-X
Die Situation ist unklar




Vier Männer und eine Frau sitzen in einem Bunker, den sie ‚Bar' nennen, und warten. Draußen, in der ‚Stadt', haben sich die Machtverhältnisse geändert, und sie, die sie allesamt verstrickt waren in die profitablen Geschäfte des gestürzten Systems, suchen nach einem Ausweg aus ihrer Lage. Dabei kommt es zu Spannungen zwischen den Protagonisten, weil jeder über die anderen Bescheid weiß und niemand seinem Gegenüber traut. Die Ereignisse memoriert ein ‚Feder' genannter Journalist, den die Führungsclique einst in ihre Dienste nahm, um ihn als Opponenten zum Schweigen zu bringen. Abwechselnd richtet er sein erzählerisches Interesse auf die Entwicklung der Dinge in der Gegenwart und schlaglichtartig eingeblendete Szenen seines Werdegangs unter den alten Verhältnissen. Am Ende wird der Bunker von den neuen Machthabern ausgehoben. Es fließt kein Blut, man kehrt in seine Häuser zurück, die einstigen Strukturen funktionieren weiter im Untergrund und ermöglichen den Gestürzten einen weichen Fall in ihr nächstes Leben.

Hans Joachim Schädlichs Trivialroman ist die abstrakteste Fiktion, die zum Thema Wende derzeit zu haben ist. Alles - Personen, Orte, die Zeit - erscheint zurückgefahren auf seine Essenz, auf ein Niveau von Benennung, unter das zu gehen bedeuten würde, auf die sinngenerierende Funktion von Sprache ganz zu verzichten. Formelhaft, auf seinen Kern reduziert, läßt hier einer ablaufen, was passiert, wenn ein etabliertes System einem anderen weichen muß, aus welchem Grund auch immer.

Solcherart Schreiben nähert man sich gern mit dem Hinweis auf seine Parabelhaftigkeit, seinen Modellcharakter. Folgte man diesem Ansatz, müßte man fragen: Wofür steht Schädlichs ‚Stadt'? Wofür stehen seine schäbigen Gestalten? Was, das wir vielleicht nur allzu gut kennen, verbirgt sich hinter den in einer karg-präzisen Diktion vorgetragenen Ereignissen? Die Antwort fiele, an der einen oder anderen Stelle des Buches, vielleicht nicht einmal schwer. Verfügen wir doch auch ein knappes Jahrzehnt nach dem historischen Abgang der DDR noch über genug Erinnerungen an vier Dekaden Aufbau einer alternativen Gesellschaft, die sich von der Kopf- zur Sturzgeburt entwickelte. Und wenn diese Reminiszenzen, was die Details betrifft, auch immer undeutlicher werden, das allgemeine Klima wenigstens steckt uns noch immer in den Knochen, und einigen kommt es inzwischen in der Rückschau schon als mild und bekömmlich vor.

Wenn wir bei Hans Joachim Schädlich deshalb lesen über die Spitzelmentalität in seinem fingierten Staatswesen, wenn er dessen Chef mit hoher, gepreßter Stimme seitenlang Platitüden verkünden läßt, die sich zu keinem verständlichen Satz fügen wollen, wenn als Kunst in dessen Reich gefördert und gepriesen wird, was die tristen Tatsachen ins Licht des Idealen stellt, so dürfte mancher dabei wohl zurückdenken in die Zeit vor 89. Aber deckt diese Lektüre das ganze Buch ab? Ich glaube nicht.

Denn es gibt zuviel, was sich einer solch einschichtigen Lesart verweigert, über den geschichtlichen Einzelfall hinauszielt, ohne ihn völlig aus dem Auge zu verlieren, von Aha-Effekten schlau profitiert, sich aber beileibe nicht in deren Produktion erschöpft. Das wäre zu einfach. Das wäre zu billig. Das wäre in der Tat zu trivial.

Womit wir bei dem Begriff wären, den der Autor seinem Text als Titel vorangesetzt hat. Mit seiner Hilfe wurde lange Zeit die literarische Spreu vom Weizen gesondert. Erst in der sogenannten Postmoderne erlangte er eine gewisse Salonfähigkeit. Das führte freilich keineswegs zu einem naiven Umgang mit dem Trivialen, sondern es entstanden ironische Mischformen, die sich der Klischees und überlieferten Schablonen bedienten, um eine festgefahrene Moderne zu reanimieren. In diesem Sinne setzt auch der vorliegende Roman auf Erzählformen, die ihn oberflächlich lesbar werden lassen als eine Geschichte von Treue und Verrat, Gefolgschaft und Distanz, abenteuerlichen Episoden, geheimnisvollen Hintergründen.

Daß das Buch konsumierbar sei wie ein Groschenheft, ist allerdings eine Behauptung, die ich dem Verlag, der damit offensichtlich einen größeren Leserkreis zu animieren hofft, nicht abnehme. Ignoriert wird mit dieser Inaussichtstellung einer problemlosen Lektüre vor allem die entscheidende Verschiebung des orientierenden Begriffs aus dem Kontext in den Text. Ein Roman, der sich dieses Attribut nicht selbst zuspricht, mag durchaus trivial sein. Einer, der sich hingegen schon mit seiner Überschrift als Trivialroman ausweist, ist es keineswegs.

Ich denke deshalb, daß die annoncierte Belanglosigkeit weniger auf die erzählstrategisch zur Anwendung kommenden ästhetischen Kniffe sich bezieht, sondern auf das abhebt, was das Thema des Buches ist. Schädlichs Trivialroman ist ein Text über die Trivialität menschlicher Verhältnisse und der Machtstrukturen, die aus ihnen hervorwachsen. Er denunziert seine Figuren in der Stunde ihres Niedergangs als erbärmliche Verwalter von Ideen, in deren Namen sie herrschten, ohne selbst an sie zu glauben. Und er wirft die - unausgesprochen bleibende - Frage auf, wie Herrschaft, die sich durch nichts legitimiert als leeres Gerede und ein vages Klima der Angst, von den jeweils Beherrschten hingenommen werden kann.

Was letzteres betrifft, so wird dem Individuum am Ende dieses Jahrtausends bescheinigt, daß es sich ins Gegebene fügt, wo immer ein kleiner Vorteil herausspringt. Und daß es bedenkenlos die Seiten wechselt, wenn Gefahr im Verzug ist. Es geht nicht mehr um Opfer und Entwürfe, Rebellionen. Es geht ums Angepaßtsein an die trivialen Umstände. Daß der Intellektuelle, läßt er sich auf dieses Spiel ein, nicht gewinnen kann, macht Schädlich mittels seines Erzählers, der am Ende als einziger ohne alles dasteht, deutlich. Die anderen fallen wieder auf die Füße. ‚Feder' aber verliert im Umbruch sein Gesicht.

© 1998 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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