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Die aktuelle Rezension
(Juni 2006)

Joachim Lottmann:
Zombie Nation
Köln: Kiepenheuer & Witsch 2006, 398 Seiten
ISBN 3-462-03665-3
Onkel Jolos letzter Streich




Wer Lottmann liest, tritt einem kleinen Familienverband bei. Nichte Hase. Neffe Elias. "Die Barbi". Wir kennen sie mittlerweile alle. Wennn auch nicht durchgängig unter demselben Namen agierend ("die Barbi" zum Beispiel war früher "die April"), gehören sie zu Lottmanns Prosakosmos wie Löwe, Tiger und Gnu zu Brehms Tierleben. Sie sind Konstanten eines Werks, das langsam eines wird. Und immer schneller - wie man so schön sagt - in's Rollen kommt.

Angefangen hat alles mit Mai, Juni, Juli. Der kleine Roman des 1958 zu Hamburg Geborenen machte 1987 ein wenig Furore, doch auch nicht so viel, dass Lottmann nachdrücklich ins Licht der literarischen Öffentlichkeit gerückt wäre. Immerhin halten ihn einige seither für den Erfinder der Popliteratur, ein Theorem, dem er selbst nicht widerspricht. Aber es ging danach mehr als ein Jahrzehnt bis zu seinem nächsten Buch ins Land. Als 1999 Deutsche Einheit herauskam, war Mai, Juni, Juli nicht nur aus den Buchhandlungen, sondern auch aus dem Gedächtnis der Lesewelt verschwunden. Letzteres ist bekanntlich kurz und verlangt spätestens in jedem dritten Jahr neuen Stoff, wahlweise gibt es sich auch einmal mit einem kleinen Skandälchen zufrieden. Wer aber so gar nichts von sich hören lässt, der ist verloren und taucht im schlimmsten Fall nie wieder auf.

Doch Deutsche Einheit war ein Hit. Gerade der zeitgeschichtliche Hintergrund dieses Buches lies seine formelle Seite einleuchten. Hier befand sich eine Figur namens Joachim Friedrich Lottmann mittendrin in den ersten Verteilungskämpfen zwischen Ost und West, und wie sollte dieses Dabeisein besser bekundet werden denn dadurch, dass die Helden der Umbruchszeit alle namentlich auftraten. Auch in Lottmanns zweitem Roman geht es im Grunde darum, dass ein vom Schreiben Besessener den ihm gemäßen Stoff sucht. Während aber Mai, Juni, Juli 23-mal ansetzt, um dieses Ziel dennoch nicht zu erreichen, begibt sich der Autor der Deutschen Einheit einfach unter Menschen und sperrt Augen und Ohren auf.

Damit hatte Lottmann seinen Stil gefunden, eine Art nonfiction fiction, die sich literarisch herausbrezelte, indem sie die Wirklichkeit abwechselnd ein bisschen über- oder untertrieb. In seinen nächsten Texten verschlüsselte er den allzu offensichtlichen autobiographischen Ansatz noch ein wenig spielerisch, indem er seine zentrale Figur Johannes Lohmer nannte, tat aber nach wie vor nichts anderes als Zeitzeugnis abzulegen, zunächst von der sogenannten Berliner Republik des Gerhard Schröder in Die Jugend von heute (2005) und nun - in Zombie Nation - davon, wie selbige unter- und der Stern der Angela Merkel aufging.

Das liest sich nicht unflott, auch wenn einige der ersten Rezensenten nicht so recht erbaut waren. Aber an Lottmann muss man sich wohl gewöhnen. Das Maß ist zu finden zwischen Ernst und Unernst, sprich: Man braucht ein Gefühl dafür, wo es Lottmann wirklich um etwas geht und wo er nur hemmungslos seine Übertreibungsmaschine anschmeißt. Das Buch ist dem "ehemaligen deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder und seiner Frau Doris" gewidmet - da fängt es schon an. Matthias Matussek, der seit einiger Zeit Lottmanns Ressortchef beim SPIEGEL ist, glaubt, dass von Lottmann unterstützt zu werden eher Stimmen kostet denn bringt, "denn seine Zustimmung wirkt stets sehr ironisch". Trotzdem muss man dem Autor wohl abnehmen, dass er - praktisch zwischen Skylla und Charybdis sich wähnend - mehr in die Richtung des Altkanzlers tendierte und diesem bis zu seinem letzten politischen Atemzug auch anhing. Zu unfreundlich sind seine Bemerkungen über eine Frau, in der die deutsche Depression ihr Gesicht gefunden habe, wie es an einer Stelle heißt.

Insgesamt wird - wie in jedem Lottmann-Buch - viel politisch Unkorrektes gesagt und getan. Und das an den verschiedensten Schauplätzen, beginnend in Köln und endend in einem Flugzeug, unter sich die verblassenden Lichter Berlins. Ja, zum guten Schluss verschwindet Jolo mit seiner Barbi im Arm aus Deutschland. Zumindest für's Erste. Und das Resümee des ganzen Landauf und Landab, als das der Text sich darstellt, ist mehr als ernüchternd. Vor einem Romero-Film in seinem Flieger sitzend, findet der Ich-Erzähler es rührend, "dass die Zombies ganze Länder eroberten und sogar regierten, jedoch nicht wussten, dass sie schon tot waren." (S.398)

Zombie Nation ist Lottmanns bisher dickstes Buch. Und es gibt einen ganz einfachen Trick, mit dem er es auf knapp vierhundert Seiten gebracht hat: Recycling. Verstreut über die Kapitel finden sich Texte aus der Süddeutschen, der taz und dem SPIEGEL. Viele Texte. Lustige Texte. Man liest sie gern noch einmal, wenn man sie denn überhaupt je gelesen hat. Aber unterm Strich kommt einem diese Methode der Mehrwerterzeugung dann doch etwas komisch vor.

© 2006 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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