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Die aktuelle Rezension
(Dezember 2008)

Jean Amila:
Motus
Saarbrücken: CONTE Verlag 2008,
175 Seiten
ISBN 978-3-936950-79-3
Kammerspiel am dunklen Fluss




Ohne Hast und Band für Band - allerdings nicht in der Originalreihenfolge - machen uns der Saarbrücker CONTE-Verlag und das Übersetzerteam "Helm S. Germer" von der Mainzer Universität (Leitung: Bernd G. Bauske) seit 2005 das Werk des nach Léo Malet bedeutendsten Vertreters der Série Noire, Jean Meckert alias Jean Amila (1910 - 1995), in deutscher Sprache wieder zugänglich. Motus (Das Titelwort wird im Französischen so gebraucht wie im Deutschen Pst! oder Pscht! ) ist der vierte Titel der Serie und zugleich - die französische Erstausgabe erschien 1953 - ihr bisher ältester.

Mit der für Amila kennzeichnenden Eindringlichkeit entsteht vor den Augen des Lesers die - über weite Strecken triste, weil in der Regel neblig-dunkel oder regengrau gehaltene - Szenerie einer Flusslandschaft. Hier begegnet uns inmitten eines realistisch harten Arbeitermilieus André Lenoir, genannt Dédé, Indochina-Veteran, Schleusenwärter und Amilas Ich-Erzähler, um dessen Person herum der Roman seine Konflikte aufbaut. Und von denen gibt es wahrlich mehr als genug.

Zum einen schwimmt da plötzlich eine Leiche in der Schleusenkammer, die nach und nach die unterschiedlichsten Vertreter von Recht und Gesetz auf den Plan ruft. Das beginnt beim tumben Dorfpolizisten und endet noch lange nicht bei zwei reichlich mysteriösen Vertretern der Staatssicherheit. Dédés Chef soll den Mann auf dem Gewissen haben, aber je mehr Personen in das Geschehen eingreifen, umso unglaublicher erscheint es, dass hier zwei alte Bekannte ihre privaten Streitereien zu einem tödlichen Ende brachten.

Zum anderen - und das ist der deutlich stringentere Handlungsteil - kulminieren im selben Moment Dédés Probleme mit seiner Frau. Lange schon ist dem eher schlicht denkenden Mann aus dem Volk klar, dass er sich bei der Wahl seiner Angetrauten wohl vergriffen hat. Nun lebt er mit ihr und den beiden Kindern zusammen und wünscht sich gleichzeitig weit weg, weil er der gefühlskalten Frau weder intellektuell noch herkunftsmäßig gewachsen ist. Und zu seinem Unglück greifen auch noch der arrogante Schwager - ein Pariser Arzt - sowie der Geist des verschollenen ersten Mannes seiner Frau, eines einstigen Regimentskameraden von Lenoir, dessen Vermächtnis er zu erfüllen glaubte, indem er die schwangere Jaqueline heiratete und so vor Schande bewahrte, in die Handlung ein.

Genug, um knapp 170 Seiten zu füllen, sollte man meinen. Und in der Tat verliert der Leser schnell den Überblick. Viele Themen werden angerissen, kaum eines wirklich zu Ende gebracht. Ein Schiff sinkt und nimmt dunkle Geheimnisse mit hinab. Nächtliche Überfälle aus dem Hinterhalt kosten Opfer. Es geht um verhinderte Gewerkschaftsarbeit, Spionage und vielfältige Rivalitäten zwischen den Vertretern der Staatsmacht. Am Ende marschiert noch das Militär auf und Schüsse fallen, ehe eine Art Scheinfrieden an allen eröffneten Fronten den Roman beendet. Die Gespenster verziehen sich dahin, woher sie gekommen sind und Totgeglaubte erwachen plötzlich wieder zum Leben. Alles wird gut - oder erweckt zumindest den Anschein.

Auf derart schwankendem Prosaboden sucht der Leser zunehmend verzweifelt nach Halt. Und findet ihn in den Figuren. Denn die und das, was sie motiviert, lassen ahnen, zu welcher Meisterschaft es Amila in seinen folgenden Romanen noch bringen wird. Die kalte Verklemmtheit der Jaqueline Lenoir, das verzweiflungsvolle Wegwollen und doch nicht - können ihres gedemütigten Mannes, das beißende Von-oben-Herab des Bruders Gregoire und die Schlichtheit der vielen kleinen Leute an der und um die Schleuse, die um das Wenige, das sie haben, verzweifelt kämpfen - das ist schon packend, nicht ohne Humor und mit sehr viel menschlichem Mitgefühl beschrieben. Und letzten Endes auch durchaus eingedenk der Absurditäten eines Daseins, die das Fassungsvermögen des Einzelnen leicht übersteigen können, wie es an einer Stelle einmal heißt.



© 2008 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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