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Jean Amila:
Mond über Omaha
Saarbrücken: CONTE Verlag 2005
213 Seiten
ISBN 3-936950-33-4
Kühe in Heldengräbern




Mit Jean Amila macht der CONTE Verlag Saarbrücken dem deutschen Leser einen Autor wieder zugänglich, der - neben Léo Malet - zu den bekanntesten Vertretern des "roman noir" gehört. Dieser hatte seinen Höhepunkt in den frühen 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und hob sich von den üblichen Detektivgeschichten vor allem dadurch ab, dass er sich selbst als eine spezifische Form der Geschichtsschreibung wahrnahm, die aus dem gescheiterten 68er Umwälzungsversuch hervorgegangen war. Autoren, die sich politisch engagiert hatten, führten ihre Kritik der Verhältnisse innerhalb von Geschichten fort, deren Bezug zu historischen Großereignissen deutlich ist. Zeitgeschichte ist bei ihnen also alles andere als bloßes Kolorit, sondern erst aus der Nichtbewältigung vergangener Ereignisse erwachsen jene Probleme, welche Menschen der Gegenwart schuldig werden lassen. Mond über Omaha - obwohl im französischen Original bereits 1964 erschienen, also nicht als Reflex auf das Ohnmachtsgefühl der 68er Generation verstehbar - ist ein frühes und sehr gutes Beispiel für die eben beschriebene literarische Verfasstheit.

Das Buch setzt ein mit einem fulminanten Kapitel über die Landung der Alliierten in der Normandie, in dem dem Leser jene Personen vorgestellt werden, denen er im weiteren Verlauf der Handlung - angesiedelt 20 Jahre nach jenem 6. Juni 1944 - wiederbegegnen wird. Nichts lässt auf diesen ersten Seiten mit ihrer starken Evokation der Kriegsgräuel und der keineswegs leisen Kritik an der militärischen Führung, welche die ihr Anvertrauten wie Schlachtvieh opfert und sich selbst dabei im Hintergrund hält, an einen Kriminalroman denken. Erst am Ende, wenn in denen im Sperrfeuer am Strand liegenden Amerikanern der Überlebenswille so groß wird, dass man beginnt, an Verweigerung, ja Desertion zu denken, ahnt man, dass hier die Saat gelegt werden könnte zu den Konflikten der Zukunft.

Im Hauptteil des Romans dann begegnen sie sich wieder - Sergeant Steve Reilly, der bei der Landung eine kleine Gruppe von Soldaten befehligte, und George Hutchins, sein Untergebener. Sie sind in der Gegend geblieben, die sie dereinst von der deutschen Soldateska befreiten. Reilly kümmert sich um die riesige Kriegsgräberstätte "Omaha Beach", als US-Enklave in der Nähe der einstigen Landungsstätte errichtet. Er hat eine junge Französin geheiratet und ist alles andere als glücklich. Vor allem mit den ihm untergebenen französischen Arbeitern führt er einen ständigen Kleinkrieg. Die Situation eskaliert, als einer von ihnen stirbt. Dessen Begräbnis führt auch dazu, dass sich Hutchins, der sich eine falsche Identität erkauft hatte, um dem Kriegswahnsinn zu entkommen, wieder in der Gegend einfindet, um Ansprüche auf das Erbe des Verstorbenen zu erheben, als dessen verschollenen jüngeren Sohn er sich präsentiert.

Von da an befindet man sich in einem psychologischen Kammerspiel erster Güte und alles läuft unerbittlich auf ein Ende mit Schrecken hinaus, das keinen Leser mehr überrascht, wenn es denn schließlich erreicht wird. Zum Schluss liegt eine Leiche in den Dünen. Es könnte die eines jeden der wenigen Beteiligten sein, die mit allen Mitteln um ihr kleines bisschen Glück kämpfen, das dennoch niemanden gegönnt wird in Amilas Welt. Diese ist nicht zufällig identisch mit einem riesigen Friedhof, symmetrischen Reihen von tausenden weißen Kreuzen, die die Erde besetzt halten. Unter ihnen ist die Vergangenheit begraben, aber was da liegt, ist nicht tot, sondern wirkt auf verwickelte Weise in das Heute hinein.

Da, wo eines der Kreuze an den Weltkriegsveteranen George Hutchins erinnert, liegt in Wahrheit eine normannische Kuh begraben. Einen Bauern aus der Gegend zu diesem Betrug zu überreden, um scheinbar frei zu sein, zerstört das neue Leben des US-Soldaten von Anfang an. Er wird erpressbar durch den Helfer von einst und gerät zudem in die Abhängigkeit von einer Frau, die eine Ehe wie ein Gefängnis um ihn herum errichtet, scheinbar um ihn zu schützen, in Wirklichkeit aber nicht zuletzt, um für sich selbst die Illusion von nicht endender Liebe und bürgerlichem Glück zu erhalten, an die sie sich anklammert bis in den Tod.

So ist in diesem Roman nichts wie es scheint. Hinter den Fassaden der drei Familien, deren Schicksale gekonnt miteinander verwoben werden, kriselt es gewaltig. Die Schrecken der Vergangenheit sind keineswegs gebannt. Und Tugendhaftigkeit schlägt plötzlich um in Mord. Wie dieser dann gesühnt wird, interessiert weder den Roman noch seinen Autor. Dessen Interesse richtet sich ganz auf die Frage, wie es dazu kam und ob es ausreicht, eine Vergangenheit zu verklären, die in Wahrheit unbewältigt ist.

Mit Mond über Omaha hat der CONTE Verlag einen Autor und einen Text für deutsche Leser wieder zugänglich gemacht, die zu Unrecht davon bedroht waren, vergessen zu werden. Die Übersetzung durch ein Autorenkollektiv des Fachbereichs Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaften der Universität Mainz/ Germersheim, das sich den Namen Helm S. Germer gegeben hat, ist hervorragend und hat mich nur an einer einzigen Stelle gestört: auf Seite 193 erscheint die mir bis dato unbekannteVerbform "verschnellerte sich" zur Bezeichnung eines Vorgangs, der einfach "schneller wird". Im übrigen bleibt zu hoffen, dass auch den Verantwortlichen in dem kleinen Saarbrücker Verlag aufgegangen ist, welchen Schatz sie da gehoben und frisch aufpoliert haben. Und dass das Buch natürlich Leser findet, die nach mehr von dieser Qualität schreien. Einen hat es schon in mir gefunden. Aber einer reicht nicht.



© 2005 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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