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Jan Seghers: Die Braut im Schnee Rezension
(Januar 2007)

Jan Seghers:
Die Braut im Schnee
Reinbek bei Hamburg: Rowohlt
Taschenbuch Verlag
2007, 479 Seiten
ISBN 3-499-24281-6
Thrill am Main




Der Spaß an Krimis besteht zu einem nicht geringen Teil darin, dass der Leser mit auf Tätersuche geht. Seit den Zeiten von Arthur Conan Doyle und Agatha Christie wird ihm - nehmen wir den sogenannten noir einmal aus - immer dasselbe Szenario geboten: Ein Verbrechen und ein Personenkreis, in dem von Polizeibeamten oder Detektiven nach demjenigen gesucht wird, der es begangen hat. Und gemeinsam mit den scharfsinnigen Tüftlern und Kombinationsgenies macht sich der Leser auf die Spur, mustert die Verdächtigen, prüft die Alibis und ist immmer darauf gefasst, vom Autor hinters Licht geführt zu werden. Denn der hat natürlich längst gemerkt, was Sache ist, und versucht verzweifelt, seinen Mörder so gut zu verstecken, wie es nur irgend geht Bis hin zu der linken Methode, am Ende den bis dato unverdächtigsten Biedermann plötzlich der bösen Tat zu bezichtigen.

Von letzterer Art ist Jan Seghers - sprich: Matthias Altenburg - nicht. Wer sich anstrengt und ein wenig mitdenkt bei seinem zweiten Roman Die Braut im Schnee, wird zur Hälfte schon ahnen und es spätestens 80 Seiten vor Schluss wissen, wer der psychopathische Sadist ist, der in und um Frankfurt am Main junge Frauen meuchelt. Doch das tut dem Erlebnis eines Buches, das schlüssig konstruiert, gut geschrieben und mit einem Personal ausgestattet ist, das individuelle Geschichten und Probleme, die es richtig serientauglich machen, mit einbringen darf, keinen Abbruch.

Marthaler und die Mitarbeiter seines Dezernats haben im vorliegenden Roman ihren bis dato schwierigsten Fall am Hals. Eine junge Zahnärztin wurde in ihrem Haus überfallen, bestialisch gefoltert, getötet und anschließend in einer obszönen Position zur Schau gestellt. Das scheinbar unbescholtene Opfer und sein biederer Lebensumkreis weisen auf keinerlei Motive für die grässliche Tat hin. Die Ermittlertätigkeit besteht deshalb zunächst erst einmal darin, in mühseliger Kleinarbeit einen Punkt im Leben der Toten zu finden, von dem aus eine Linie zum Verbrechen führt. Bis man den gefunden hat, ist eine zweite junge Frau tot, eine dritte wird es bald auch noch sein.

Polizeiarbeit ist mühselig und hat wenig mit dem Heroismus zu tun, auf den man in drittklassigen Fernsehfilmen immer wieder trifft. Auch Polizisten sind nur Menschen. Sie knieen sich zwar, wenn es darauf ankommt, bis zur Erschöpfung in ihre Fälle. Ihre eigenen Probleme dabei zurückzustellen, gelingt ihnen freilich nicht immer perfekt. Robert Marthaler hat von letzteren eine ganze Menge. Da ist eine Frau, die er liebt, ohne dass er ihr dies bisher zu sagen gewagt hätte. Als sie nach längerer Abwesenheit zurückkommt nach Frankfurt, vergisst er gar, sie, wie versprochen, vom Flughafen abzuholen. Da ist ein Vorgesetzter im Präsidium, mit dem er regelmäßig aneinandergerät. Das bleibt auch im Fall der aktuellen Ermittlungen nicht aus und führt sogar zur zeitweiligen Suspendierung des Kommissars von seinem Fall, was den Ermittlungen wenig förderlich ist. Und da ist ein Polizistenrambo, den er in sein Team zu integrieren hat, obwohl er dessen unrühmliche Vergangenheit nur zu genau kennt. Hinzu kommen gesundheitliche Probleme, Wassereinbrüche im neuen Präsidium und eine kurze Affäre mit einer jungen Gerichtsmedizinerin, die weder sie noch er wirklich wollte.

Genug auf jeden Fall für knapp fünfhundert Seiten ordentlicher Unterhaltung, die, wie es sich gehört für einen Thriller, mit der Entlarvung des Täters enden. Dass hier nicht mehr die ganz große Überraschung lauert, haben wir oben schon angedeutet. Auf dem Weg zum Showdown, der einer sympathischen Mitstreiterin Marthalers beinahe noch das Leben kostet, wächst dem Leser Seghers' Held aber wirklich ans Herz. Gerade weil das Spektakuläre in seinem Leben und Tun nur selten eine Rolle spielt, weil er Fehler macht und sich um deren Einbekenntnis erst einmal herumdrückt, weil er Freude hat an einem frischen Brötchen genauso wie an einem alten Wein und ihn die drohende Einsamkeit immer wieder in die Konfrontation mit sich selbst führt, entdeckt man kleine Dinge, die den Mann seinen Lesern nahe bringen.

Überhaupt scheint Einsamkeit das geheime Thema des Buches zu sein. Alle auftretenden Figuren sind von ihr bedroht oder schon umfangen. Und immer wieder schließen sich Reflexionen an sie an, die auf ihre Gefährlichkeit abheben. Frankfurt, erkennt Marthaler auf einer seiner Fahrten durch die Stadt, ist kein Moloch, es braucht knapp dreißig Minuten, um durch die Stadt hindurchzukommen. Und dennoch sind selbst Menschen, die Wand an Wand wohnen, einander fremd, Ehen bei näherem Hinsehen kaputt und Eltern-Kind-Beziehungen aufs Tiefste gestört.

Überhaupt und letzten Endes: Frankfurt, der Schauplatz des Romans. Der Autor mag seine Heimatstadt und das macht er seinen Lesern auch deutlich. Mögen die denken, was sie wollen. Und mag Robert Marthalers Gedächtnis auch automatisch die schönsten Plätze der Stadt mit den grauenhaftesten Verbrechen in Zusammenhang bringen - er liebt sie trotzdem und würde ungern woanders zu Hause sein. Das merkt man an jeder Schauplatzbeschreibung. Sei es der Stadtwald mit dem Goetheturm, das Mainufer, der grüne Gürtel, der sich um die gesamte Innenstadt zieht oder die Kneipenszene - alles erscheint in einem Fokus, der nicht verdüstert, sondern erhellt. Man könnte sich Die Braut im Schnee unter den Arm klemmen und einfach losgehen vom Hauptbahnhof aus. Und sämtliche Vorurteile, die man hegt gegen diese Stadt der Banken und Bausünden, würden langsam beginnen zu schwinden.



© 2007 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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