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Die aktuelle Rezension
(Mai 2010)

Henning Mankell:
Der Feind im Schatten
Wien: Paul Zsolnay Verlag 2010,
591 Seiten
ISBN 978-3-552-05496-7


... alles andere aus der Krimiwelt
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Die Engagierten und die Gleichgültigen




Tja, nun hat es auch Kurt Wallander geschafft. Fall Nummer 10 gelöst - und Schluss. Wie seine von Maj Sjöwall und Per Wahlöö, Håkan Nesser oder Arne Dahl erfundenen Kollegen Beck, van Veeteren, Hjelm und Holm ist der Ystader Kommissar an einer imaginären Grenze angelangt. Sie trennt den schwedischen Thriller von gleich gearteten Unternehmen im Rest der Welt. Und kaum einer traut sich, sie zu überschreiten.

Allein, man muss auch sagen: Es ist genug. Denn Kurt Wallander - der noch nie der Stabilste war, wie seine Fans wissen, die praktisch von einer Lebenskrise mit ihm in die nächste taumeln seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten - wirkt ausgelaugter denn je und psychisch wie physisch stark angegriffen. Da nützt es auch wenig, dass Tochter Linda ihn mit einem Enkelkind beschenkt. Denn neben den wenigen Augenblicken, in denen er sich als Patriarch einer größer werdenden Familie noch einmal glücklich, lebendig und verantwortungsbewusst fühlen darf, mehren sich die Momente tiefster Lebensverzweiflung. Alter und Einsamkeit schmerzen und je öfter sein Blick zurückgeht in die Vergangenheit, umso unerbittlicher steht ihm sein Scheitern im Privaten vor Augen. Weder seine Ehe mit Lindas Mutter, die nun in einer Trinkerheilanstalt auf Entzug ist, noch die zweite große Liebesbeziehung seines Lebens, jene zur Lettin Baiba Liepa, wie sie in dem Roman Hunde von Riga beschrieben wurde, konnte er zu einem positiven Ende führen. Jetzt, im zehnten und letzten Roman der Reihe, führt sich Wallander die Verluste der Vergangenheit zum wiederholten Mal vor Augen, ehe ganz zum Schluss die Rede auf jenes endgültige Dunkel kommt, welches den Namen Alzheimer trägt und offenbar das Schicksal dieses Mannes darstellt.

Aber natürlich bringt er noch genug Kraft auf, um sich einer letzten großen Herausforderung zu stellen. Gerade hat er die zukünftigen Schwiegereltern seiner Tochter kennengelernt - die von Enkes entstammen einem alten Adelsgeschlecht und sind eigentlich nicht der Umgang, den der bodenständige Wallander schätzt -, da verschwindet erst der Mann und ein paar Monate später auch seine Frau. Polizei und - weil es sich bei Korvettenkapitän Håkan von Enke um einen hohen Ex-Militär mit allerlei exquisiten Befugnissen handelt - Sicherheitsdienste sind ratlos. Und Mankells Held gibt seinen bitter notwendigen Urlaub dran, um Licht ins Dunkel eines Falles zu bringen, der ihn weit zurückführt in die Zeiten des Kalten Krieges, in denen Schweden nominell keinem der großen Militärbündnisse angehörte, sich tatsächlich aber sehr wohl für eine der beiden Seiten entschieden hatte.

Der Feind im Schatten ist ein Politthriller. Es geht um Wahrheit und Lüge, Treue und Verrat, Spionage und Gegenspionage. Dass diese Probleme in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die kleinsten Strukturen der Gesellschaft hineinreichen konnten, Familien auseinanderrissen, Zwietracht und Hass säten - wer wüsste das besser als die Deutschen in Ost und West, die bis 1989 eine Mauer trennte. Aber mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Beginn der Transformationsprozesse in den Ländern Osteuropas ist für Mankell und seine Helden die Vergangenheit noch lange nicht abgeschlossen. Was in der Vergangenheit unter den Teppich gekehrt wurde, soll bitteschön auch nach dem Anbruch einer neuen Zeit dort bleiben. Zumal hinter den Kulissen alte Bündnisse weiterexistieren, alte Feindschaften nur scheinbar beigelegt sind und alte Obsessionen über kurz oder lang in neue Verblendungen zu münden drohen.

In gewisser Weise ist der die Serie abschließende Wallanderroman auch als eine Art Fazit gedacht. Fazit einer Figur, die sich am Ende schlicht in Nichts auflöst, Fazit einer Zeit, die ihr Erfinder mit Hilfe seines Helden beschrieb, Fazit aber auch eines Menschentyps, für den Kurt Wallander stand und der mit dessen Verschwinden nun auch Gefahr läuft, selbst zu verschwinden. Durch die Gegenwart, die mit für Laien unverständlichen Banken- und Immobilienkrisen die Nachkommen des Kommissars in Atem hält, bewegt sich dieser wie ein Fremdling. Und nachdem er seinen letzten Fall unter Einsatz des eigenen Lebens gelöst hat, nimmt es nicht Wunder, dass er, der immer zu den Engagierten und Unbequemen zählte, sich nun nicht wie viele andere auf die Seite der Gleichgültigen sinken lässt, sondern Opfer einer Krankheit wird, die ihn als Person gleich ganz auslöscht.

Hoch war sicherlich der Anspruch, den der schwedische Bestsellerautor an sich selbst im Zusammenhang mit dem letzten Auftreten seiner so unglaublich beliebten Romanfigur stellte. Alle Probleme, die Wallander im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte umgetrieben hatten, sollten noch einmal zur Sprache kommen. Dutzende Figuren aus der Vergangenheit des Kommissars galt es rückblickend - wenigstens in Gedanken - zu würdigen. Und auch der letzte Fall des Moralisten und Menschenfreundes Kurt Wallander durfte nicht irgendeiner sein, sondern hatte natürlich auf alle bekannten Aspekte des Weltbildes von Autor wie Held Bezug zu nehmen.

Dass diese deutlich spürbare Absicht den Roman teilweise mit viel Überflüssigem, auch Redundantem befrachtet, sei hier nur angemerkt. Nicht jede der vielen Handlungslinien ist strukturell-erzähltechnisch wirklich notwendig und es gibt lose Fäden und unbeantwortete Fragen bis zum Schluss, ganz abgesehen davon, dass es fragwürdig erscheint, wenn nachträglich eine der beiden die Jahrzehnte nach 1945 dominierenden Weltmächte zum Papiertiger abgewertet wird und der anderen damit alle Gefährlichkeit und Aggresssivität allein zufällt. Auch die Stasi-Seitengeschichte, die das Buch enthält, ist mir ein bisschen zu plakativ-spektakulär ausgefallen. Aber eines kann man Henning Mankell nach der Lektüre seines zehnten Wallander nicht vorwerfen: Dass er nicht Stellung bezöge zu den wichtigen Fragen unserer Zeit. In dieser Hinsicht wird Kurt Wallander wohl eine Lücke im europäischen Kriminalroman hinterlassen. Man darf gespannt sein, ob sich jemand findet, der sie auf ähnlichem Niveau wieder ausfüllt.


© 2010 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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