
Am 11. November 2007 verabschiedeten sich nach insgesamt 45 Auftritten in Deutschlands erfolgreichster Fernsehfilmserie die TATORT-Kommissare Ehrlicher und Kain von ihren treuen Zuschauern. Sie hatten 15 Jahre vorher ihren Job in Dresden begonnen, waren 2000 nach Leipzig gewechselt und erfreuten sich als einziges Kripogespann aus den neuen Ländern steigender Beliebtheit. Nicht wenig trug dazu wohl der raue Charme des Hallensers Peter Sodann bei, der seiner Kommissarsfigur proletarische Bodenhaftung und ein die Grenzen des politisch Opportunen häufig genug sprengendes Gerechtigkeitsgefühl mitgab.
Obwohl Leipzig inzwischen durch ein neues Duo auf der deutschen TATORT-Karte vertreten wird, hinterließen Ehrlicher und Kain eine spürbare Lücke, in die nun eine vom Verlag Das Neue Berlin herausgegebene Buchreihe stoßen soll. Doppelherztod ist deren erster Band. Mit jährlich zwei neuen Fällen aus der Feder des Leipziger Autors Henner Kotte (Der Tote im Baum, Abriss Leipzig) hofft man verlegerisch wohl auf einen ähnlichen Erfolg, wie ihn die Filme hatten. Dramaturgisch hat das zur Folge, dass Kotte eine ganze Reihe der um Ehrlicher herumgruppierten Figuren auch in seinen Büchern wieder auftreten lässt, allen voran natürlich Kain, halb so alt und dreimal so spontan wie Ehrlicher und nach dessen Pensionierung freiwillig aus dem Dienst geschieden.
Doppelherztod hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits merkt man dem Bändchen deutlich an, dass es mit der heißen Nadel gestrickt wurde. Billig und wie einer der vielen "Das Buch zum Film"-Schnellschüsse für Seltenleser wirkt die Aufmachung, ein Lektorat hat wohl nur spontan stattgefunden. Dass die Zielgruppe vor allem die "Leser aus den neuen Bundesländern" - So neu sind die inzwischen übrigens auch nicht mehr, verehrte Marketingstrategen! - sind, merkt man schnell, etwa wenn wohlige Erinnerungen an den DDR-Schlager von Bärbel Wachholz bis Fred Frohberg samt einschlägigen Textproben sich über mehrere Seiten hinziehen, obwohl das Gedöns zum Fortgang der Handlung nur wenig beizutragen hat. Ähnlich ostalgisch die Erwähnung von DDR-Edelfedern wie Erik Neutsch sowie der obligate Seitenhieb auf den Besserwessi, der seit 1990 den harschen Ton in den ostelbischen Kolonien angibt.
Andererseits kann Henner Kotte aber auch nicht wirklich verstecken, dass er mit jedem seiner Leipzig-Krimis dazugelernt hat. So gibt es eine ganze Reihe gelungener Szenen, bei denen die Atmosphäre stimmt, sozial genau beobachtet wird und die Pointen Hand und Fuß haben. Gut vor allem, dass der Autor sein eigenes Vorleben nicht verleugnet. Ehrlicher, der Pensionist, der weg will vom Kreuzworträtseln, und Kain, als Aussteiger und Neukellner deutlich weniger forsch angelegt als im Film, bekommen es als Hobbydetektive kriposeitig just mit jenen Gestalten zu tun, die Kotte in seinen ersten Büchern in die Literatur eingeführt hat. Das schafft schöne Echos und Aha-Effekte, auch wenn das dauernde Spiel mit dem Nachnamen der Leiterin des Leipziger Morddezernats I, der nun wirklich nicht so schwer zu merken ist, gehörig auf den Geist geht.
Ach ja, der Plot. Eigentlich sind es zwei. Ein Kind wird vermisst und in einer vornehmen Seniorenresidenz sterben nacheinander drei Insassen an Gift. Ehrlicher hängt sich an den einen Fall, Kain an den anderen, beziehungsweise die Fälle hängen sich von ganz allein an die ihr Leben nach dem TATORT noch nicht so richtig im Griff habenden Ex-Polizisten. Und am Ende sind sie tatsächlich gelöst, wenig spektakulär, ganz ohne Aufregung. Bis dahin gibt es eine femme fatale, die das stille Glück des alten Kommissars mit der Kneipenwirtin Frederike (Annekathrin Bürger!) gefährdet, allerhand Getuschel und Gemenschel unter Hochbetagten und hin und wieder Sächsische Kartoffelsuppe mit Schnippelwurst.
Dass in die nächsten Bücher ein bisschen mehr "Drive" kommen muss, versteht sich nach dem eben Angedeuteten fast von selbst. Auch Schimmi, als er die Duisburger Kollegen verließ, machte alsbald Kroatien unsicher. Nun sollen im zweiten Band der Ehrlicher-Saga dem Vernehmen nach Frederike und Kain in den Kosovo entführt werden. Ob's das bringt? Wir melden leise Zweifel an und behaupten: Nur wenn es Henner Kotte gelingt, behutsam die noch allzu kräftig leuchtenden Originale hinter sich zu lassen und seinen Hauptfiguren eine Entwicklung angedeihen zu lassen, die sie zu eigenständigen literarischen Helden macht, wird er sich auf Dauer mit ihnen wohlfühlen können. Als Autor von Büchern zu Filmen, die gar nicht existieren, sondern von einer langsam schwindenden Substanz zehren, sollte er sich über kurz oder lang unterfordert fühlen. Denn er hat weit mehr drauf.