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Heinrich Steinfest:
Der Umfang der Hölle
München: Piper Verlag GmbH 2005, 360 Seiten
ISBN 3-492-270921
Regina sei bei uns




Wow, was für eine tour de force! Von einem Schweizer Wintersportort prominenten Namens geht es über München, Linz und ein kleines, aber feines Schlösschen im Garstner Tal letztendlich in die weite Welt. Welch ein verrückter Plot, der mit dem Verbrennen eines Lottoscheins, der seinem Besitzer Millionen gebracht hätte, beginnt, und an dessen Ende drei Tote im ewigen Eis liegen, von denen zwei sich gegenseitig verbissen an der Gurgel haben, während der dritte Auge in Auge mit einer Gummiente entschlafen ist. Und was für skurrile Figuren! Wir sind begeistert!

Heinrich Steinfest ist Jahrgang 1961.Der Umfang der Hölle ist sein achter Roman. Für den sechsten - Ein sturer Hund - wurde der Autor 2004 mit dem dritten Platz des Deutschen Krimipreises geehrt. Aber nicht, weil er Krimis schreibt, sondern weil er andere Krimis schreibt. Literarische Krimis sozusagen, deren weitaus Bestes eine Sprache ist, die weder die kauzige Reflexion noch den intertextuellen Verweis scheut, ja oft gerade aus ihrer sublimen Kenntnnis des (Welt-)Literarischen ein für einen Thriller unerwartetes Surplus gewinnt.

Auf das Böse schlechthin, das in eine Textsorte wie die vorliegende ja a priori hineingehört, wird freilich auch bei Steinfest nicht Verzicht geleistet. Im Umfang der Hölle trägt es den Namen Siem Bobeck und macht - dank eines Modeimperiums zu Ruhm und Geld gekommen - zur Romanzeit in der Verhaltensforschung Furore. Wenn der Leser diesen Mann auf seinem Landsitz inmitten einer Schar widerlicher Speichellecker kennenlernt, erinnert die Szene ein bisschen an den Friedrich Dürrenmatt der 50er Jahre. Der hatte das Genre nobilitiert, indem er keine Gangster im herkömmlichen Sinne mehr auftreten ließ, sondern in die vorderste Front der Gesellschaft integrierte Gestalten als Verbrecher vorstellte, deren elitäres Tun und Reden alles, was moralisch erlaubt war, in Frage stellte. Und es ging Dürrenmatt immer ums Ganze, nie um die Bagatelle.

So auch hier. Doch Bobeck, der an einer Droge namens Regina arbeitet, mit deren Hilfe sich die latenten Aggressionen des Menschen ins Unendliche steigern lassen, ist nicht die Hauptgestalt des skurrilen Romans. Ins Zentrum hat Heinrich Steinfest stattdessen eine jener merkwürdigen Figuren gerückt, wie sie in seinen bisherigen Texten immer die Kommissare und Detektive hergeben mussten, jene Lukastiks und Chengs, denen in Stuttgart und Wien Dinge begegnen, die eigentlich in diesen Städten unvorstellbar sind. Protagonisten mit einem merkwürdigen Weltbild, seltsam schicksalsgläubig und im richtigen Moment forsch und draufgängerisch, ein bisschen stur, aber tierlieb, nicht eben sonderlich umgänglich und privat gewöhnlich von einem Unglück ins nächste schlitternd. Leute eben wie Du und ich, bei aller Verfremdung ins Unkenntliche und Bizarre merkwürdig vertraut und noch in ihren Wahnanfällen rührend.

Leo Reisiger also diesmal. Weil er sich nicht zurückhalten kann, wegen zweier Frauen mit einer Bande Hooligans ins Geplänkel zu geraten, wird er in den Bobeckschen Kosmos, der eigentlich zu Beginn mehr als eine Nummer zu groß für ihn ist, hineingerissen. Eine der beiden Damen nämlich, denen der Sonderling, nachdem er einen Millionen verheißenden Lotterieschein zu Asche verbrannt hat, ohne viel nachzudenken beispringt, stellt sich als Bobecks Gattin heraus - und schon wird dem überraschten Kavalier eine Einladung ins Haus gebracht, der er zwar nicht folgen will, aber aus zwingenden inneren Gründen dennoch folgen muss. Fortan ist sein Weg, der, wie oben angedeutet, im arktischen Eise endet, von jenem des großkopferten Verbrechers nicht mehr zu trennen, ja wächst er langsam sogar zu einem Ernst zu nehmenden Gegenspieler Bobecks heran, der am Ende sterbend triumphieren darf.

Das ist rasant erzählt und geizt unterwegs weder mit Sex noch Crime. Es verbietet sich allerdings von selbst, hier eine Nacherzählung anzuhängen. Denn wir wollen nicht zu breit werden, doch das müssten wir, weil Steinfest ein Erzählgeflecht anlegt, wie es ungewöhnlich für einen modernen Kriminalroman ist. Also sprechen wir zum Schluss noch eine kurze Warnung aus und legen dem Leseerlebnis - und es wird eines, das können wir versprechen! - fortan nichts mehr in den Weg. Also Vorsicht: Sich nicht von den ersten Seiten verschrecken lassen, liebe Leser, auch ein Heinrich Steinfest muss erst einmal in die Gänge kommen. Und wenn es am Anfang ein wenig zu knirschen scheint und in einem wahren Schneckentempo - bestimmt vom bedächtigen Gang des inneren Monologs - beginnt, so bekommt der Plot schon nach hundert Seiten solch ein Gefälle, dass es eine Art und einen Schwindel hat, die uns das Buch schließlich erschöpft aus der Hand gleiten lassen und in den Ausruf münden: Wow, was für eine tour de force! Regina sei bei uns!

© 2005 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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