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Die aktuelle Rezension
(März 2006)

Heinrich Steinfest:
Nervöse Fische
München: Piper 2004
317 Seiten
ISBN 3-492-24280-4
Haie im Souterrain




Ich habe neulich einen Steinfest - Ein sturer Hund - verliehen und bekam ihn zurück mit der Bemerkung, bei diesem Buch handele es sich um alles Mögliche, nur nicht um einen Kriminalroman. Das Ding sei zu umfangreich, der Autor schweife ständig ab und was die Stringenz der Handlung betreffe ... der Ausdruck hanebüchen sei da noch mit Bedacht gewählt.

Alles richtig. Aber genau das ist auch die besondere Qualität des in Australien geborenen Österreichers Heinrich Steinfest, dessen Krimis mal in und um Wien, mal in und um Stuttgart spielen und der mir in letzter Zeit so lieb geworden ist, wie ein paar Jahre vorher sein Landsmann Wolf Haas. Wie dieser bietet auch Steinfest den sprachlich gehobenen Roman, bei dem es weniger auf den kriminalistischen Plot ankommt, auch wenn dieser an Blutrünstigkeit in der Regel nichts zu wünschen übrig lässt.

So steht zum Beispiel ein Team von Kriminalisten zu Beginn des vorliegenden Romans um ein von Haien getötetes Opfer herum. Nicht unbedingt ein Novum an Südafrikas Küsten, darf man einwenden. Richtig. Aber da sind wir nicht, sondern in Wien. Und um es den Mörderfischen noch schwerer zu machen: die Leiche schwimmt in einem Pool auf dem Dach eines vielgeschossigen Wohnhochhauses. Es fehlen ein Bein und jegliche Plausibilität.

So geht das los. Ehrlich gesagt: Ich war, bis dahin gekommen, echt froh, dass ich meiner Bekannten, die mit dem sturen Hund nicht zurecht gekommen war, die nervösen Fische vorenthalten hatte. Denn sie hätte sicher genau so dumm geschaut, wie die Wiener Polizei angesichts des sich ihr stellenden Rätsels, aber dann wäre ihre Loyalität als Leserin gewiss bald zusammengebrochen: Schmarrn!

Ja, Schmarrn. Doch Steinfest und sein Chefinspektor Lukastik nehmen diesen Schmarrn ernst und die Spur auf. Sie beginnt mit einem im bewussten Pool gefundenen, mikroskopisch kleinen Hörgerät amerikanischer Herkunft, für das zunächst das passende Ohr gesucht werden muss. So kommt man zum Opfer, und in dessen Umkreis bietet sich auch schnell ein Täter an. Dieser foppt Lukastik zwar noch ein- zweimal gewaltig, am Ende aber ist alles da, wo es bei einem Kriminalroman zu sein hat. Der Gerechtigkeit wird Genüge getan, man kann das Buch schließen und sich in aller Ruhe dem nächsten zuwenden.

Doch halt: So einfach ist es nicht. Nicht bei Steinfest. Der hat nämlich Zeit. Zeit, um die eigentliche Qualität seines Textes zu entwickeln. Und die ist literarischer Art. Sein Inspektor nämlich ist ein Eigenbrötler und Sonderling. Nichts, was er nicht anders sähe, als seine Umwelt. Kein Fauxpas, vor dem er sich schämen würde. Und kein Gedanke, dem er nicht solange nachsänne, bis auch dem letzten Leser dessen fundamentale Bedeutung aufdämmerte.

So entsteht - ganz nebenbei - ein kleiner essayistischer Kosmos des Alltags. Werden wir in den Charme banaler Dinge eingeführt, die, sobald sie zum Spielball von Lukastiks Intelligenz werden, ihre Unschuld einbüßen und gefährlich zu glitzern beginnen. Verlieren wir uns nach und nach im scheinbar Nebensächlichsten, ja Banalen, das Steinfest mit seinem Ton, der manchmal ein bisschen an Thomas Bernhard erinnert (aber der Ton welches Österreichers tut das nicht hin und wieder), aus langer Bedeutungslosigkeit zu erwecken, ja manchmal zu erlösen vermag.

Viele Sentenzen möchte man sich einfach notieren zum Eintrag in Poesiebücher, die einem noch gar nicht vorliegen, auf Verdacht und Vorrat sozusagen. Zum Beispiel hier: "Menschen, die immer und überall den Vortritt in Schlangen erbaten, gehörten für Lukastik zum übelsten, was die Menschheit im zivilen, nichtkriminellen Bereich hervorgebracht hatte." Oder das: "Sagen wir, daß ein jeder Mensch für zwei, drei Dinge im Leben geboren ist. Sonst gäbe es ihn gar nicht, diesen Menschen, meine ich." Oder auch: "Ich halte jede Tötung und jeden Krieg für eine Reaktion auf ... Langeweile. Man tötet nicht den andern, sondern tötet die Zeit, die nicht vergehen will." Und so weiter.

Manchmal freilich zuckt einem auch der Finger ärgerlich auf zur Korrektur, doch das ist selten und liegt an der schlechten Lektorierung der wohl intelligentesten und stilistisch raffiniertesten Thriller, die zur Zeit in deutscher Sprache geschrieben werden.



© 2006 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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