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Weiterbildung/ Text-Management/ Design
Hannelore Cayre:
Das Meisterstück. Ein Fall für Leibowitz
Zürich: Unionsverlag 2008, 158 Seiten
ISBN 978-3-293-00390-3
Leibowitz, Auftritt Nummer zwei




Hier hat eine wirklich Ahnung. Kennt sich aus im Milieu. Weiß um die kleinen Tricks und die großen Durchstechereien.Und ist trotzdem in der Lage, dem allem mit Humor zu begegnen. Nicht zu verzweifeln, sondern einfach einen draufzusetzen. Solange, bis die Dinge wieder halbwegs ins Lot gekommen sind und ein schwacher Schimmer Hoffnung am Horizont auftaucht. Nur ein schwacher, aber immerhin.

Christophe Leibowitz-Berthier, der Pariser Strafverteidiger, den der Leser schon aus Hannelore Cayres Erstling Der Lumpenadvokat kennt, ist reich geworden, indem er anstelle eines üblen Burschen dessen Gefängnisstrafe auf sich genommen hat. Nun ist er wieder draußen, schließlich ist er ja gewitzt, anderthalb Millionen Euro - über die natürlich eine Schweizer Bank wacht - machen ihn unabhängig, aber Müßiggang ist nicht sein Ding. Also schafft er sich einen protzigen Mercedes und die erste eigene Kanzlei an und schaut, ob die alte Klientel seiner noch bedarf.

Zum Beispiel die Familie Choukri. Deren Mastermind sitzt im Gefängnis und steuert von dort aus kleinere und große Raubzüge, Kokainschmuggel und hin und wieder eine Vergeltungsaktion, die durchaus ins Letale abdriften kann. Drei weitere Brüder genießen zur Zeit noch die ungefilterte, frische Luft. Die wird für den Jüngsten freilich langsam dick, weil er ein Stück aus seinem letzten Bruch einem Hehler anvertraute, der damit aufflog und den Dieb ans Messer lieferte, um dadurch selbst Strafminderung zu erlangen. Schließlich sind da noch die in einem Casino angestellte Schwester, welche der Verwandtschaft die Gewinn bringenden Tipps gibt, und "Madame", die altehrwürdige Patriarchin der Sippe, Kolonialwarenhändlerin mit philosophischen Ambitionen.

Doch so verschlagen sich die Mischpoke auch aufführen mag - von moderner Kunst und den Preisen, die dafür aktuell gezahlt werden, hat sie keine Ahnung. Eher zufällig ist dem Filius eine kleine, erlesene Gemäldesammlung in die Hände gefallen. Nun könnte die ihm plötzlich zum Verhängnis werden.

Auftritt Leibowitz. Und der erkennt mit einem Blick, welches Vermögen sein Mandant da an Land gezogen hat. Bald muss er allerdings auch feststellen, dass der bestohlene Großkopferte das wertvollste Bild der Sammlung - einen Halbakt von Egon Schiele - gar nicht als vermisst gemeldet hat. In der Folge geht es - mitunter durchaus ernst und, wenn es sein muss, auch mal über ein paar Seiten hinweg rein aufs Informative bedacht, schließlich liegen die inkriminierten Schweinereien mehr als ein halbes Jahrhundert zurück - um Raubkunst, Deportation, Kollaboration und die Frage, ob die unselige Vergangenheit überhaupt noch eine Rolle spielt im heutigen Frankreich.

Tut sie natürlich, und wie. Denn jene, die einst mit den deutschen Besatzern zu deren und dem eigenen Wohl paktierten, haben Nachkommen und die sind kein Jota besser als ihre Väter und Großväter. Nur noch ein bisschen enger vernetzt mit den tonangebende Kreisen, was sie in die Lage versetzt, allen ihnen nicht Wohlwollenden ziemlichen Stress zu machen. Eine Zeit lang gelingt es einem der zahlreich den Roman bevölkernden Neofaschisten sogar, Leibowitz zu linken und mit der Sammlung zu verschwinden, ehe am Ende die Gerechtigkeit obsiegt und Cayres Held den Schiele, welchen er vorsorglich in Verwahrung genommen hatte, einem Museum zur Verfügung stellt, obwohl er sich rechtlich durchaus als dessen aktueller Besitzer sehen dürfte.

Hannelore Cayre hat all das in ein locker geschriebenes, stellenweise hochamüsantes Buch gepackt. Illusionslos ist ihr Blick auf die tonangebenden Kreise in Frankreich, nicht zu überhören die Sympathie für alle am Rande der Gesetzlosigkeit sich Durchwurstelnden. Ihre Figuren herrlich überspitzt, aber gerade so, dass sie noch als Typen wiedererkennbar sind. Hier der Pariser Kleinkriminelle mit nordafrikanischen Wurzeln, der keine Ahnung hat, welch Schatz ihm da plötzlich untergekommen ist, da der Ehrenmann mit Stammbaum, der den Diebstahl eines unbezahlbaren Kunstwerks nicht anzeigen kann, weil seine Vorfahren es einst selbst seinen wirklichen Besitzern geraubt haben. Schließlich - verpackt in Vorspiel, Intermezzo und Epilog - ein heiter-frivoler Diskurs über das Verhältnis von Leben und Kunst und die Frage, warum in dieser erlaubt ist, wofür man in jenem hinter schwedische Gardinen wandern würde. Und das alles auf knapp 150 Seiten. Mehr kann man wirklich nicht verlangen.



© 2008 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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