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Hakan Nesser:
Kim Novak badete nie im See von Genezareth
München: Verlagsgruppe Random House GmbH 2005
287 Seiten
ISBN 3-442-72481-3
Mittsommernachtsmord




Es ist der Sommer, in dem Erik und Edmund erwachsen werden. In dem den beiden vierzehnjährigen schwedischen Jungen die Liebe begegnet, die ihre Kehrseite, den Tod, im Schlepptau mit sich führt. Ein Sommer an einem der unzähligen Seen, die die Geographie des Landes im Norden Europas so nachhaltig prägen. Unbeschwert als langer Urlaub beginnend und in etwas, das das Buch nur DAS SCHRECKLICHE nennt, kulminierend.

Mit Kim Novak badete nie im See von Genezareth (das schwedische Original erschien 1998) ist dem Bestsellerautor Håkan Nesser - hierzulande vor allem bekannt durch seine zehnteilige Krimiserie um den eigenwilligen Kommissar van Veeteren - ein echter Wurf gelungen. Durchaus nur als Thriller lesbar, ist die Geschichte weitaus mehr als das. Und ihre Überzeugungskraft scheint so groß, dass der Roman in Schweden inzwischen unter die Schullektüre zählt.

Worum geht es? Mittels einer Rückschau in den Sommer 1962 erzählt der inzwischen erwachsene Erik Wassman, wie seine Kindheit zu Ende ging. Um dem Sohn die Zeugenschaft am langsamen Dahinsiechen der Mutter an einem Krebsleiden zu ersparen, schickt ihn sein Vater über die heißen Monate mit einem Freund zusammen auf das kleine Anwesen Genezareth am See Möckeln. Möglichst unbeschwert soll er hier Ferien machen. Doch daraus wird nichts. Denn sein dort ebenfalls anwesender, acht Jahre älterer Bruder Henry beginnt ausgerechnet jetzt eine Affäre mit der Lehrerin Ewa Kaludis, die der Hollywood-Ikone Kim Novak zum Verwechseln ähnlich sieht. Sie ist nicht nur die Verlobte eines Handballstars ohne Manieren und mit gelegentlich äußerst brutalen Anwandlungen, sondern als Vertretungskraft in der Klasse des jungen Erik auch ideale Projektionsfläche für pubertäre Phantasien aller Art. Doch eines Morgens liegt das Sportidol von nationaler Bedeutung erschlagen neben seinem Wagen in der Nähe des Anwesens der Wassmans. Und den besten Grund, ihn mit einem Vorschlaghammer zu töten, scheint Eriks Bruder Henry zu besitzen.

Was sich von hier aus im klassischen Thriller-Muster der Tätersuche entwickelt, zunächst einen Kommissar auf den Plan ruft und dann einen fiesen Lokalreporter mobilisiert, geschieht allerdings nur auf der Oberfläche eines Textes, bei dem der Leser am besten auf die versteckten Töne und Signale achten sollte. Denn DAS SCHRECKLICHE markiert mehr als das Ende der paradiesischen Situation der beiden Jungen in der überwältigenden Natur von Schwedens Norden, mit ihm endet vor allem auch beider unbeschwerte Kindheit. Plötzlich ist nichts mehr so, wie es bis dahin war. Dinge, die einfach und beherrschbar erschienen, erweisen sich als kompliziert und unerklärbar. Der Tod bricht ein in die Idylle und zwingt jeden, darüber nachzudenken, was ihm das Leben bedeutet und ob er wirklich hinter dessen letzte Geheimnisse zu kommen begehrt. Dem jungen Erik fließt alles, was ihn von nun an sein Leben lang bedrängen wird, in eine Formel, die er in seinem Kopf ständig hin und her bewegt und die für das Buch die Funktion eines Leitmotivs übernimmt: "Krebs-Treblinka-Liebe-Bumsen-Tod". So heißen die Mysterien, vor denen die zurückliegende Zeit ihn noch bewahrte, die aber nun, weil jene zu Ende geht in diesem Sommer, den die beiden Freunde bis zuletzt als großartigen Sommer in Erinnerung behalten werden, unbarmherzig in den Mittelpunkt drängen.

Kim Novak badete nie im See von Genezareth überzeugt gerade dadurch, dass es grelle Effekte vollständig ausspart. Ganz unspektakulär, dafür aber mit der für den Leser immer spürbaren Überzeugung, dass er hier an einem Initiationsritus von entscheidender Bedeutung für alle Beteiligten teilnimmt, wird erzählt. Und für die Dauer dieses Vorgangs verlässt der Erzähler seine inzwischen gewonnene überlegene Position und begibt sich zur Gänze zurück in die Welt desjenigen, der er einmal war. Berichtet von alltäglichen Nöten und Anfechtungen, Begierden und Skrupeln, Obsessionen und Ängsten so hautnah wie berührend und nachvollziehbar, so dass allein aus dem Erzählgestus die den ganzen Roman tragende Spannung zu entstehen vermag.

Am Ende, auf den letzten knapp dreißig Seiten wird schließlich die Brücke in die Gegenwart der 90er Jahre geschlagen. Aus dem schmalen vierzehnjährigen Edmund ist ein schwergewichtiger Landpfarrer geworden, dem seine Profession das Verzeihen gelehrt hat. Und Erik, geachteter Lehrer inzwischen, hat - nach einer misslungenen Ehe - praktisch zurückgefunden zum Idol seiner Jugend, der überirdisch schönen Ewa, mit der er nun im Gedenken an die Vergangenheit zusammenlebt. Das Verbrechen aus den Sechzigern ist inzwischen verjährt, niemand hat den Täter finden können. Und so kann Erik endlich zugeben, was er seit damals verschwiegen hat, was in jener einen, entscheidenden Nacht geschah und wer in welcher Weise daran beteiligt war. Es ist auch für den Leser eine wirkliche Überraschung.



© 2005 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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