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Die aktuelle Rezension
(August 2010)

Friedrich Ani:
Die Tat

München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2010,
191 Seiten
ISBN 978-3-423-21198-7


... alles andere aus der Krimiwelt
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Welchen Stellenwert Friedrich Ani diesem dritten seiner so genannten "Seher-Romane" zuordnet, macht der Münchner Autor (Jahrgang 1959) selbst in einer Vorbemerkung deutlich. Darin zählt er Die Tat zu jenen unter seinen bisher geschriebenen Romanen, die er gerne mitnehmen würde in eine spätere Zeit, und schließt: "Für mich ist ‚Die Tat' eine Art Reisepass für die Länder meiner künftigen Bücher." Dem muss hinzugefügt werden: Für Leser, die vertraut sind mit den Romanwelten um Helden wie Tabor Süden, Polonius Fischer oder Jonas Vogel, ist es auch eine typische Ani-Geschichte, ein Plot, der unter die Haut geht, indem er auf schonungslose Art und Weise und fern jeglicher Illusion die moderne condition humaine durchleuchtet.

In München treibt ein Serienmörder sein Unwesen. Er erdrosselt seine Opfer mit Kordeln aus Strohseide. Allein deren Farbe variiert. Dem Kommissariat für "Vorsätzliche Tötungs- und Todesfolgedelikte" will es nicht gelingen, das die bisherigen drei Fälle miteinander Verbindende zu entdecken. Nur der Leser hat von Anfang an eine Ahnung, dass sich hier jemand auf einer Strafexpedition befindet, zu der er sich selbst ermächtigt hat. Einer, der aus Gründen tötet, die man in seiner Vergangenheit suchen muss.

In der Folge lernt man drei Familien kennen. Die des letzten Opfers, die des mit den Mordfällen beauftragten Kommissars Max Vogel und schließlich jene des Täters. Max Vogel übrigens ist der Sohn des Mannes, der das Münchner Mordkommissariat einst leitete und nach einem Unfall erblindete. Seitdem ist Jonas Vogel pensioniert, mischt sich aber aus alter Gewohnheit weiter in die Arbeit der Ex-Kollegen ein. Man sieht das gar nicht ungern, denn der Mann besitzt so etwas wie den sechsten Sinn, ein Gespür für die Zwischen- und Untertöne während einer Ermittlung. Er ist der blinde Seher, dem sich aus seiner Dunkelheit heraus Zusammenhänge erschließen, die allen anderen verborgen bleiben. Nur Max, sein Sohn, weiß, dass die Präsenz des legendären Ex-Polizisten auch ihre dunkel-verhängnisvolle Seite hat: Während er sich besessen in die Ermittlungsarbeit stürzt, vernachlässigt Jonas Vogel seine Familie.

Vernachlässigung von Menschen durch ihnen nahe Stehende ist auch das, was sofort ins Auge fällt, wenn sich die Ermittler mit den Verhältnissen beschäftigen, aus denen das dritte Opfer stammt. Dort lebte man zu viert unter einem Dach, doch keiner achtete scheinbar auf die anderen. Gleichgültigkeit, Desinteresse und Gewalt dominierten die gegenseitigen Beziehungen und dominieren sie nach dem Tod einer Frau, von der eine merkwürdige Kälte ausging, weiter. Die Familie als Schutz- und Trutzbund gegen die Zumutungen der Welt - hier hat sie versagt. Dass dies keinen Ausnahmefall darstellt, unterstreichen in Anis Roman nicht nur die parallel geführten Familiengeschichten des Täters wie des Kommissars, wobei er Letzterem am Ende sogar noch eine Art Katharsis gönnt, sondern auch andere Personen werden zu Sprachrohren der Auffassung, dass die viel beschworenen "trauten Heime" nicht selten Brutstätten von Taten sind, die, würden sie im öffentlichen Raum begangen, justiziabel wären.

Friedrich Anis Helden kämpfen nicht gegen das organisierte Verbrechen, sondern gegen die Herzenskälte in den Menschen. Sie lösen ihre Fälle weder durch überlegenes Kombinieren noch durch den Einsatz modernster Ermittlungsmethoden. Stattdessen agieren sie aus dem Bewusstsein ihrer eigenen Anfälligkeit für menschliche Schwächen heraus. Das lässt sie die sensiblen Signale empfangen, die jene aussenden, die sich letzten Endes nicht mehr anders zu helfen wissen, als erlittenes Unrecht, das nicht gesühnt wurde, anderen auf die Rechnung zu setzen und diese auch sofort eigenhändig zu begleichen. Das Problem dabei verbirgt sich hinter der Frage: Wer darf solcherart Rechnungen überhaupt aufmachen? Wer sorgt für Gerechtigkeit in Bereichen, die sich ihr häufig mit Erfolg entziehen, wenn nicht jene es tun, die dafür bestallt wurden? Das ist ein moralisch-ethisches Problem. Dass es im Rahmen eines Kriminalromans in dieser Ernsthaftigkeit auftaucht, ist allein schon aller Ehren wert. Dass dieser noch dazu spannend ist und mit einer überraschenden Wende aufwarten kann, macht die Sache nicht schlechter. Äußerst lesens-, aber mindestens genauso diskutierenswert.


© 2010 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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