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Die aktuelle Rezension
(Juli 2009)

Fred Vargas:
Der verbotene Ort
Berlin: Aufbau Verlag 2009,
423 Seiten
ISBN 978-3-351-03256-2
Adamsberg goes Europe




Langsam weiß man, was von einem neuen Roman der Fred Vargas zu erwarten ist. Natürlich ein unvergleichlich skurriles Personal, Figuren, die wirken, als seien sie antiken Mythen entsprungen - jede mit mindestens einer Eigenschaft versehen, die weit über gewöhnliches menschliches Maß hinausgeht. Sodann ein Verbrechen, das so abnorm sein muss, dass wir es unwillkürlich einer Wirklichkeit zuordnen, die über, hinter oder unter der unsrigen liegt, aber nie und nimmer mit ihr identisch ist. Und schließlich eine Lösung, die die Gewalttat wieder erdet und einen Täter/ eine Täterin präsentiert, auf die wir bei ein bisschen mehr Konzentration vielleicht auch von allein gekommen wären. Das und nicht mehr hat man zu erwarten, wenn ein neuer Roman der Fred Vargas erscheint. Es ist sozusagen immer wieder dasselbe - und doch reißt es einen jedes Mal aufs Neue hin und mit.

Diesmal sind es Schuhe, die den Reigen der Merkwürdigkeiten eröffnen. Schuhe mit Füßen drin, angetreten wie zum Rapport vor dem Londoner Highgate-Friedhof. Weil aber die Füße dicht über dem Knöchel abgetrennt wurden, weiß man nicht, wer sich da zusammengerottet hat, um Karl Marx, Charles Dickens und all die anderen zu ehren, die auf diesem Totenacker einst ihre letzte Ruhe fanden. Das heißt: Eine Idee hat Danglard, Jean-Baptiste Adamsbergs andere, mehr dem Faktischen verhaftete Ermittlerhälfte, schon. Denn zwei der Botten glaubt er identifizieren zu können - sie gehörten einst einem seiner Onkel. Und weil es sich bei dem um einen Serben handelt, führt die Spur Vargas' Pariser Kriminalisten diesmal stracks ins europäische Ausland.

Aber langsam. Denn auch bei Paris geschehen seltsame Dinge. Da wird ein Mensch, der einst Enthüllungsstories schrieb und nun den Ruhestand genießt, in seinem Haus buchstäblich pulverisiert. Worauf sich die Frage erhebt, wie wohl ein Hass beschaffen sein muss, der von einer Leiche letztlich nichts mehr übrig lässt als knapp 500 Einzelteile, systematisch über den Raum verteilt, den sie einst, als sie noch ein zufriedenes Ganzes bildeten, bewohnten. Und kurz darauf wird gar publik, dass diese Art der bestialischen Ermordung eines Zeitgenossen durchaus nichts Singuläres hat. Auch in Deutschland und Österreich sind dergleichen Fälle vorgekommen.

Tja, Madame hat aufgetragen. Reichlich gedeckt wie immer ist ihr Tisch. Füße und Zerquetschtes - "Zerketch" nennt Adamsberg den unbekannten Killer, weil seine österreichischischen Kollegen den Zustand der bei ihnen gefundenen Leiche mit dem Begriff "zerquetschen" umschrieben haben - bilden dabei nur den Grundstock. Der große Rest ist Mythologie - Vampire hinterlassen diesmal ihre Spuren -, Familiengeschichte - Adamsberg muss sich mit dem Gedanken anfreunden, ein weiteres, erwachsenes Kind zu besitzen - und Intuition, wovon Vargas' Kommissar ja bekanntlich mehr als genug besitzt.

Bis der Mörder schließlich gestellt ist, müssen die Ermittler noch einiges durchmachen. Jean-Baptiste Adamsberg verschlägt es in den Osten des Kontinents und dort wird ihm beinahe ein Grab zum Verhängnis, aus dem heraus sich einst Unsterbliche nach ganz Europa aufmachten. Nebenbei schnappt er, der für Fremdsprachen noch nie eine Begabung besaß, sogar ein paar serbische Brocken auf und integriert sie auf schöpferische Art in den eigenen Wortschatz. Eine Wiederbegegnung der magischen Art gibt es auch mit Veyrenc de Bilhc, jenen gern in zwölffüßigen Jamben à la Racine sprechenden Landsmann des Kommissars, der ihn im Vorgängerroman, Die dritte Jungfrau, an den Rand der Verzweiflung getrieben hatte. Nur den berühmten drei Evangelisten und Adamsbergs geliebt-ungeliebter Camille Forestier wird für diesmal der Zugang verweigert.

Der verbotene Ort reiht sich würdig in die Reihe der Kriminalromane einer Autorin ein, die als unverwechselbar zu bezeichnen wohl nicht übertrieben ist. Ich gestehe, dass es bei jeder meiner Vargas-Lektüren in den letzten Jahren den Moment gab, wo ich kurz davor war, ihr die Gefolgschaft aufzukündigen. Jetzt reicht's, dachte ich auch diesmal wieder für die Dauer von zehn, zwanzig Seiten im ersten Drittel des Romans. Wo sind wir denn, empörte ich mich, bei Stephenie Meyer? Denn eigentlich hatte ich unterschwellig erwartet, dass das Thema des Vampirismus von der Autorin im metaphorischen Sinne aufgenommen würde, nun spukte das blutrünstige Völkchen plötzlich ganz ohne Netz und doppelten Boden durch unsere Welt - höchst ungewöhnlich. Aber es war nur ein Augenblick, dann hatte Fred Vargas' Erzählkunst mich wieder immunisiert gegen das Irrationale und Unlogische, das im Strom ihrer Romane mitschwimmt. Denn auch im Treibgut hat sich schon so mancher Schatz gefunden.



© 2009 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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