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Die aktuelle Rezension
(November 2006)

Fred Vargas:
Bei Einbruch der Nacht
Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag
GmbH 2006, 336 Seiten
ISBN 3-7466-1513-5
Serienmorde und andere Kleinigkeiten




Heureka, ich habe Fred Vargas entdeckt. Und diese Entdeckung war gar nicht so schwer. Schließlich schreibt die Frau, 1957 geboren, bereits an die fünfzehn Jahre, wenn auch bisher nur in ihren Ferien, denn im Hauptberuf ist sie Archäologin und arbeitet an einem Forschungsinstitut. Alles in allem gibt es bis dato aber doch schon neun Romane aus ihrer Feder, doch wollte ich bis vor kurzem aus irgendwelchen fadenscheinigen Gründen nicht an sie ran. Fred ... , wer nennt sich schon Fred? fragte ich mich immer wieder, wenn sie mir in einer Buchhandlung unterkam. Ich bitte Sie! Aber dann war es schließlich passiert. Und was soll ich sagen - es hat mich voll erwischt.

Meine Einstiegsdroge hieß Fliehe weit und schnell. Dann sofort den aktuellen Roman hinterher: Der vierzehnte Stein. Beide gibt es schon im Taschenbuchformet. Spannend bis zum Schluss. Gut erzählt und bestimmt auch - ich habe das Original natürlich nicht danebengelegt! - gut übersetzt. Mit einem seltsamen Kommissar, vielleicht dem seltsamsten überhaupt in der modernen europäischen Detektivliteratur. Aber man kommt ihm als Leser sehr nahe, der Kerl ist ein bisschen verrückt und außerdem heißt er Adamsberg und ist halb deutscher Abstammung, eines jener Kinder, die es, von Wehrmachtssoldaten im besetzten Frankreich gezeugt, nie besonders leicht hatten.

Aber Adamsberg spielt in Bei Einbruch der Nacht nur eine untergeordnete Rolle. Erst ziemlich spät taucht er leibhaftig auf, gerufen von Camille Forestier, einer weiteren Wiedergängerin in Vargas Büchern. Eigentlich ist sie des Kommissars große Liebe. Und er die ihre. Nur kann er es leider nicht verhindern, dass er von Zeit zu Zeit auf Abwege gerät und Camille dann immer mit totalem Liebesentzug reagiert. Das heißt: Sie macht sich davon, flieht in Alternativbeziehungen und braucht jedes Mal eine Weile, ehe sie zu Aussöhnung und Rückkehr bereit ist.

So auch in diesem Buch. Am Anfang hat sie bereits das Weite gesucht und lebt für einen Sommer mit dem kanadischen Grizzly-Experten Lawrence Johnstone in den provenzalischen Alpen. Sie, die handwerklich Begabte, zu deren Lieblingslektüre Baumarktkataloge zählen, komponiert die Musik zu seichten Fernsehserien, er, der blonde Schönling mit der begrenzten Aufenthaltserlaubnis, kümmert sich um die Wölfe, die seit Neuestem wieder in diese Weltgegend eingewandert sind. Aber mit den Bestien stimmt etwas nicht. Urplötzlich fangen sie an, in Schafherden einzubrechen und die Tiere zu reißen. Und wenig später findet man den ersten Menschen mit schrecklichen Wunden, die uralte, mythische Erzählungen von einem umherschweifenden Wolfsmenschen wieder anheizen.

Dass alles ganz anders ist, erfährt der Leser im Laufe des Romans. Der entwickelt sich als wunderbares Roadmovie, welches drei Menschen auf eine Spur quer durch Frankreich führt, die als Wolfsspur beginnt und sich immer mehr zur Spur eines Serienmörders entwickelt, dessen Handlungsantrieb weit in der Vergangenheit liegt. Um das ganze Ausmaß der Gefahr zu begreifen, in der sich Camille und ihre beiden Begleiter aus dem Bergdorf befinden, bedarf es schließlich aber doch des Exfreundes Adamsberg, der die Chance, auf diese Art und Weise der Geliebten wieder nahe zu kommen, natürlich ergreift. Und im furiosen Finale des Buches mit Intuition und Verstand über Kraft und blindes Rachebedürfnis den Sieg davonträgt.

Bis dahin freilich entwickelt dieser Krimi einen poetischen Sog, wie ihn wenige Bücher des eher rauen Detektivgenres haben. Nicht auf Gewalt setzt die Vargas - obschon sie diese auch nicht unbedingt ausblendet -, sondern auf Witz und Charme. Ihre weibliche Hauptfigur ist so liebenswert wie naiv, deren Begleiter auf der Odyssee über Berg und Tal erweisen sich als zwei herrliche Typen, der eine eigentlich zu alt für Abenteuer, der andere zu jung, unerfahren und wenig gebildet beide, aber mit dem Herz am rechten Fleck und genau dem Quäntchen Glück, das sie benötigen, um auf ihrer Mission zu überleben.

Übrigens schlägt Jean-Baptiste Adamsberg, der in diesem Buch auch die Folter der Eifersucht kennenlernen darf, was ihn allerdings nicht daran hindert, im nächsten Roman erneut auszubüxen, am Ende sogar seinen Nebenbuhler in die Flucht. Doch wie er das macht - das wollen wir hier nicht verraten. Am besten selber lesen. Und hineingeraten in den Sog - den Sog Vargas!



© 2006 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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