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Die aktuelle Rezension
(April 2009)

Franz Kabelka:
Dünne Haut.

Innsbruck-Wien: Haymon Verlag
2008, 219 Seiten
ISBN 978-3-85218-574-3
Als Psycherl bei den Piefkes




Es braucht eine Weile, ehe man drin ist in Franz Kabelkas (Jahrgang 1954) drittem und vorerst letztem Roman um den Bregenzer Chefinspektor Anton (Tone) Hagen. Erst müssen ein paar Fäden entwirrt werden, die zu einer privaten Katastrophe des Kriminalisten zurückführen, für die er sich die Schuld gibt, und die im Zusammenhang mit beruflichem Stress unterschiedlichster Art dazu geführt hat, dass dem Ausgebrannten von seinen Chefs nahegelegt wurde, sich in einer psychosomatischen Klinik einmal so richtig duchchecken zu lassen. Und während, um die ganze Vorgeschichte dem Leser nahezubringen, in den ersten Kapiteln die Schauplätze und Erzählperspektiven so flott wechseln, dass man wirklich zusehen muss, will man nichts verpassen, erreicht Kabelkas Erzählen erst mit der Ankunft seines Helden in der Klinik Sonnblick im Süden Deutschlands wieder ruhige Gewässser.

Fortan nimmt uns der Autor mit in den typischen Alltag einer Heilstätte, lässt uns teilhaben an Einzel- und Gruppentherapiesitzungen, an offenen und versteckten Kämpfen der Patienten untereinander und mit dem Personal sowie an den Rivalitäten zwischen den Göttern in Weiß. Und weil es von all dem wahrlich genug gibt, gelingt es Kabelka, seinen Leser auch ohne große Actionszenen und Mordkomplotte in den Bann zu schlagen. Es sind die fein gezeichneten Charaktere, die fesseln, die behutsamen Einblicke ins Seelenleben einer ganzen Reihe von Menschen, die ihre psychischen Leiden in der Klinik auskurieren, Fallstudien, die der Autor sorgsam und - wie die auführliche Danksagung am Ende des Buchs dokumentiert - nicht ohne fachärztliche Hilfe vorgenommen hat.

Und dennoch kommt der Humor nicht zu kurz. Das liegt vor allem an dem neuen Freund, den sich Tone Hagen im Sonnblick zulegt, einem prominenten Kabarettisten, der hier inkognito seinen Weltschmerz auskurieren will und natürlich von dem Inspektor a.D. auf Anhieb erkannt wird. Bald sind die beiden ein klinikbekanntes Pärchen, machen die Kneipen der nahe gelegenen Kurstadt Bad Krummau unsicher, fachsimpeln über Schachaufgaben und bilden ein zorniges Pendant zum Oberstudienrat Straub, der etwas gegen Multikulti und Minarette hat und seine Schüler gern mal an den feinen Schläfenhaaren nach oben zieht. Dass die Herren im besten Alter am Ende gar noch gemeinsam nach Irland aufbrechen, um Hagen von den ihn quälenden Schuldgefühlen zu erlösen, ist des Guten dann fast schon wieder zuviel. Der interessanteste Charakter in dem bunten Klinikalltag freilich ist eine überall auffallende Übersetzerin, die an der Borderline-Störung leidet. Schnell hat sie Tone Hagen als denjenigen ausgemacht, dem man vertrauen kann, und bringt ihn mit ihren eindeutigen Avancen zuerst auf gedankliche Abwege, schließlich und endlich aber sogar in Lebensgefahr.

Dünne Haut lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Grenzbereiche unserer Wirklichkeit, dorthin, von wo es nur ein kleiner Schritt ist in den Wahn. Das Buch appelliert an die Mitmenschlichkeit in jedem von uns, an die humanistische Verpflichtung, sich um seinen Nächsten zu bekümmern, ihn nicht allein zu lassen mit seelischen Bedrängnissen, die so vielfältig sein können, dass kaum jemand wirklich von ihnen verschont bleibt. Hinter die Masken zu blicken, die Gesichter, die der Welt nicht gezeigt, sondern vor ihr verborgen werden, zu entdecken, kann von existenzieller Bedeutung für den in sich selbst Verkapselten werden.

Der Übersetzerin Marie Theres Herbst ist nicht mehr zu helfen. Zu tief steckt sie fest in ihrer Vorstellungswelt, die mit der Realität nur noch vage Übereinstimmungen aufweist. Die anderen freilich, die Kabelka so intensiv beobachtet, als wäre er selbst am Prozess ihrer Heilung beteiligt, vermögen wieder zu sich zu finden. Selbst für Inspektor Hagen heißt es am Ende: "Ab Montag bin ich wieder im Geschäft." Wenn sich sein Erfinder diesen Satz noch einmal durch den Kopf gehen lässt, schickt er ihn vielleicht doch noch in ein weiteres Abenteuer hinein. Wir würden auf jeden Fall mitkommen.



© 2009 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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