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Emilie Heinrichs:
Leibrenten
Köln: Edition Köln-Verlag Peter Faecke 2008,
410 Seiten
ISBN 978-3-936791-56-3
"Den Bösen sind wir los, die Bösen sind geblieben"




Mit Emilie Heinrichs' (1823 - 1901) Roman Leibrenten aus dem Jahr 1866 eröffnet die Edition Köln ihr auf 10 Bände angelegtes Projekt einer Criminalbibliothek 1850 - 1933. Verleger Peter Faecke und Herausgeber Dieter Paul Rudolph beabsichtigen mit der Reihe, markante Werke aus der bis heute kaum ausgekundschafteten Vergangenheit der deutschen Kriminalliteratur wieder zugänglich zu machen. Dass die beiden Enthusiasten sich damit eine goldene Nase verdienen werden, ist kaum anzunehmen. Und bevor die ersten Bände auf dem Markt sind - im laufenden Jahr stehen mit Texten von Benno Bronner, Adolf Streckfuß und J.D.H.Temme drei weitere Ausgaben in den Startlöchern - wird man auch das verlegerische Wagnis des Unternehmens kaum beurteilen können. Wer warum gerade zu Heinrichs, Temme etc. greifen wird, wenn er Krimis lesen will - das sind Fragen, auf deren Antwort man gespannt sein darf. Sie tangieren allerdings nicht das generelle Verdienst, endlich zu versuchen, eine "rekonstruierte Tradition der deutschen Kriminalliteratur" für den in Rede stehenden Zeitraum nachzuzeichnen. Allein für dieses Vorhaben verdienen Rudolph und Faecke einen gehörigen Vorab-Applaus, denn es ist so mutig wie lange überfällig.

Leibrenten ist als erster Band der Edition sicher gut gewählt. Ob man es bei dem umfangreichen zweiteiligen Roman aus der Mitte des 19. Jahrhunderts - es ist in der sogenannten Hochliteratur die Zeit von Keller, Fontane, Storm, C.F.Meyer und und und ... - tatsächlich mit der "Mutter aller Krimis" zu tun hat, wie Dieter Paul Rudolph zu Beginn seines informativen und gut unterrichteten Nachworts postuliert, sei hier nicht diskutiert. Auf jeden Fall ist etwas los in dem kleinen norddeutschen Fürstentum, in das die Autorin uns entführt. Und natürlich muss sie, damit ihre geneigten Leser die Übersicht nicht verlieren, ganz im Stil der Zeit die allwissende Erzählerin herauskehren, was für Leser, die zeitgemäßere Erzählstrategien gewöhnt sind, etwas gewöhnungsbedürftig sein dürfte. Doch nach 20, 30 Seiten hat man sich eingelesen und was am Beginn als vermeintliche Stilblüten noch etwas von oben herab belächelt wurde, passiert das Hirn des modernen Lesers fortan ohne großen Skandal.

Hoch interessant ist die soziale Szenerie, in die der Roman einführt. Da sind Hofchargen und Militärs, Geistliche, Vertreter des aufstrebenden Bürgertums und solche "aus dem Volke". Und die überwiegende Mehrzahl von ihnen hat nur eines im Sinn: Geld und wie man möglichst schnell zu möglichst viel davon kommt. Da wird betrogen und hinterzogen, intrigiert und erpresst, verleumdet und - wenn es sich denn gar nicht anders mehr machen lässt - gemordet und zum Morden verführt. Ein Sittenverfall, der an keiner konkreten Gesellschaftsschicht, an keinem der zahlreichen Milieus mehr festzumachen ist, sondern sich quer durchzieht durch alle Stände und unterm Strich das Bild einer Welt ergibt, in der Moral und Ethos nur noch im Munde geführt werden, in den sozialen Interaktionen aber von vornherein nicht zu finden sind.

Am Ende dann liegen zwei Männer entseelt am Boden und drei Paare, denen im Verlaufe der Handlung Einiges zugemutet wurde, finden zueinander. Treumann heißt der Pfarrer, der zwei davon traut, ein sprechender Name. Doch im staatlich zersplitterten Deutschland des 19. Jahrhunderts vermögen sie nicht glücklich zu werden. Deshalb geht' s auf nach Amerika. Dort verortet Emilie Heinrichs ihre Utopie - ein bisschen Rousseau, ein bisschen frühkapitalistische Sozialromantik, ein bisschen Pietismus schwingen dabei mit, nichts Grundstürzlerisches, sondern mehr das Kriminalliteratur gewordene diffuse Unbehagen einer Klasse, die zwischen ganz oben und ganz unten steht und der menschlich die Felle wegschwimmen.

Nimmt man es ganz genau, fehlt Leibrenten zum "richtigen" Krimi noch eine ganze Menge. Vor allem dessen klassische Struktur. Dafür wird aber relativ kompromisslos der Nährboden beschrieben, aus dem die Verbrechen des bürgerlichen Zeitalters aufstiegen. Und nicht zufällig bilden unter den vielen Gaunern des Romans die Vertreter von Recht und Gesetz eine der größten Fraktionen - sie arbeiten fleißig in die eigene Tasche aus dem Schutze von Paragrafen heraus, die wie für sie geschaffen scheinen. Gegen diese Typen hat das unterm Strich doch ziemlich schwachbrüstige Gutmenschentum, wie die Autorin es präsentiert, kaum eine andere Chance, als all den korrumpierten Kreisen über den Großen Teich hinweg zu entfliehen. Oder, um es mit Emilie Heinrichs zu sagen: "So wird denn alles gut, und was düster war in Eurem Leben, mag begraben sein hier in der alten Welt, drüben in der neuen Heimath möget Ihr alle ein neues, glückliches Leben beginnen und auch dereinst vollenden in Liebe und Treue." Dem fügen wir ein leises "Amen" hinzu und freuen uns schon einmal auf die nächsten Bände eines Unternehmens, dem wir viel Glück wünschen.



© 2009 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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