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Die aktuelle Rezension
(Dezember 2009)

Don Winslow:
Frankie Machine
Frankfurt/ Main: Suhrkamp Verlag 2009,
365 Seiten
ISBN 978-3-518-46121-1
"Ich zu sein macht eine Menge Arbeit"




Auf Seite 53 kommt die Wende. Bis dahin reibt man sich die Augen und fragt sich besorgt, ob die Genrebezeichnung "Kriminalroman" auf diese Altherrenidylle an der amerikanischen Westküste überhaupt zutrifft. Denn was passiert im ersten Siebtel des Romans? Wenig bis nichts - jedenfalls nichts Kriminelles. Der Leser lernt einen gesetzten, grauhaarigen, 62-jährigen Herrn namens Frank Machianno kennen. Der hat eine Frau, von der er geschieden ist, versteht sich aber wenigstens noch so gut mit ihr, dass er ihr bei Bedarf den Abfluss reinigt. Die beiden haben eine gemeinsame Tochter, Jill, die gerade zum Medizinstudium zugelassen wurde, was ihre Eltern mächtig stolz macht. Und schließlich ist da auch noch der Trost seiner einsamen Nächte, die schöne Donna, ehemals Showtänzerin, nun Besitzerin einer kleinen Modeboutique, die Frank genau die Sorte von Liebe ohne erdrückende Nähe entgegenbringt, die diesen nicht panisch werden lässt.

Natürlich gehört eine Menge dazu, um dieses Gleichgewicht des Glücks im Winkel aufrechtzuerhalten über die Tage und Wochen und Jahre. Leben ist teuer und Frank Machianno kann es sich bei all seinen Verpflichtungen nicht leisten, auf der faulen Haut zu liegen. Gleich vier Jobs betreibt er nebeneinanderher, um Patty den Unterhalt, Jill das Studium und Donna ihren täglichen Blumenstrauß samt hin und wieder einem guten Essen zu finanzieren. Ja: "Ich zu sein macht eine Menge Arbeit."

Bis zu dem Tag, an dem er spät nach Hause kommt und zwei dubiose Typen im protzigen Hummer vor seiner bescheidenen Unterkunft herumlungern, so dass es ihm angeraten scheint, noch eine Runde um den Block zu drehen. Genau: Wir sind auf Seite 53 angelangt und von hier an nimmt Don Winslows zweiter in der Krimireihe des Suhrkamp Verlags veröffentlichter Roman aber mal richtig Fahrt auf. Denn ab sofort macht Überleben, sprich: nicht Ich zu sein, sondern Ich zu bleiben, jede Menge Arbeit. Wobei das "Ich", an dessen nicht unglückliche Existenz der Autor seine Leser auf den ersten paar Dutzend Seiten geschickt gewöhnt hat, plötzlich vor unseren Augen zu verschwimmen beginnt und dahinter langsam die Konturen eines anderen Menschen deutlich werden.

Aus Frank Machianno wird Frankie Machine, einst gefürchtet wegen seiner Effizienz im Töten. Es ist eine Rückverwandlung aus gegebenem Anlass. Und sie muss schnell vonstatten gehen, weil es plötzlich nahezu jedes Mitglied der Westküstenmafia auf den Mann abgesehen zu haben scheint. Fallen tun sich auf, wohin immer der Top-Killer im Ruhestand seinen Fuß setzt. Und im fortgeschrittenen Alter muss er noch einmal alle Intelligenz, Kraft und Kaltblütigkeit aufbringen, wie sie ihn über viele Jahre hin auszeichneten und so begehrt wie gefürchtet zwischen San Diego und Detroit machten.

Frankie Machine ist ein Roman, der seine Leser auf eine atemberaubende Reise in die Vergangenheit seiner Hauptfigur mitnimmt. Lakonisch werden die Stationen eines Lebens erzählt, in dem die Allianzen schnell wechseln und die Verbündeten von gestern einem heute plötzlich in den Rücken fallen. Nur auf wenig ist Verlass in einer Welt, in der man sein Geld mit Prostitution, Drogen und Pornographie verdient. Und dieses Wenige wird den Akteuren, wenn sie irgendwann genug Geld besitzen, um sich in die großen Machtspiele, die im Land laufen, einzumischen, zum Verhängnis. Denn - und das zeigt Winslows Roman ganz deutlich - Mafia und die führenden politischen und wirtschaftlichen Eliten der USA kommen sich zwar immer näher und profitieren zunehmend voneinander, für Letztere sind die halbseidenen Bosse der Unterwelt samt ihren skrupellosen Killern dennoch nie mehr als letztlich verachtenswertes Dienstpersonal. Man schaut nicht so genau hin, wenn man sich begegnet und wäscht sich die Hände gründlich nach jeder Transaktion.

Genau daraus übrigens erwächst der Konflikt dieses Buches. Einmal nicht so genau hingesehen, wer sich für einen mit Blut befleckt - und Jahrzehnte später, wenn die Zeugen der Vergangenheit zu unbequemen Zeitgenossen werden, hetzt man plötzlich den Falschen bis zur Erschöpfung. Doch Don Winslow hat seinen Helden auf den ersten fünfzig Seiten zu sorgfältig aufgebaut, um ihn ähnlich einfach wie Dutzende anderer Gestalten einfach aufzuopfern. Und so darf der Leser sich am Schluss tatsächlich noch einmal auf eine faustdicke Überraschung gefasst machen. Eins mit Sternchen!


© 2009 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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