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Die aktuelle Rezension
(Januar 2010)

Dieter Paul Rudolph:
Arme Leute
Saarbrücken: CONTE Verlag 2009,
205 Seiten
ISBN 978-3-941657-06-9
Lieber Ohr ab als arm dran




Das nächste Buch ist immer das schwierigste. Und wenn es dann noch das zweite ist: Umso schlimmer! Wer weiß das nicht. Und wie vielen ist nicht gerade aufgrund dieses Wissens die Tinte eingetrocknet. Dem saarländischen Krimihäuptling Dieter Paul Rudolph - Thriller-Theoretiker, emsiger Blogger, leichthändiger Rezensent und mutiger Herausgeber historischer Perlen des Genres - kann diese Weisheit auch nicht verborgen geblieben sein. Und wir wollen natürlich hier nicht so weit gehen, seinen Krimi-Zweitling Arme Leute als gescheitert zu bezeichnen. Ein bisschen überambitioniert kommt uns das Bändchen von seiner literarischen Struktur her - Heiliger stream of consciousness, erbarme Dich unser! - aber schon vor. Mussten es wirklich drei aufeinander folgende, ausgesprochen komplexe innere Monologe sein, die von Syntax und Wortwahl her den durchschnittlichen Krimileser erstens wohl ein bisschen überfordern und zweitens vielleicht irgendwann auch langweilen dürften? Aber das nur als Frage - sorry.

Jedenfalls spielt die Geschichte da, wo ihr Autor sich auskennt. Der wohnt im schönen Örtchen Blieskastel - natürlich an dem Flüsschen Blies gelegen - und wenn man da schon einmal durchgekommen ist, dann wird man viele in Arme Leute beschriebene Örtlichkeiten - den "Gollenstein" etwa, den "Schlangenbrunnen" auf dem Alten Markt oder die so genannte "Orangerie" an der Schlossbergstraße - problemlos wiedererkennen können, auch wenn sich Rudolph eingangs gegen ein allzu schlichtes Ineinssetzen von Realität und Fiktion durch den Leser verwahrt und seinen Handlungsort konsequent namenlos bleiben lässt. Ein verkappter Heimatroman also? Gar ein Regionalkrimi? Nicht wirklich, wie heute immer so schön gesagt wird, wenn doch ein kleines bisschen was dran sein könnte.

Doch uns soll das nicht interessieren. Denn die Konstellation, aus der heraus in Arme Leute der Konflikt entsteht, ist durchaus nicht ortsgebunden. Auch eine bestimmte Zeit setzt sie nicht zwingend voraus. Freilich würde sie, verlegte man sie ein, zwei Jahrhunderte zurück oder meinetwegen aus dem Südwesten Deutschlands in dessen Nordosten, nach Zwickau beispielsweise, anderes Personal und andere Requisiten erfordern, in ihrem Kern freilich archetypisch ein und dieselbe bleiben. In jeder Kleinstadt - von Großstädten, ja Staaten wollen wir gar nicht reden -, ob nun zu Schillers, Honeckers oder Dieter Paul Rudolphs Zeiten, gab und gibt es nämlich die, die das Sagen haben und die sich aufgrund ihrer herausgehobenen Position auch manches Unerlaubte herausnehmen können - Honoratioren, Stammtischbrüder, lokale Würdenträger, gewählt oder selbst ernannt, der ganze Filz eben, zu dem einer gehört oder nicht gehört - und den großen Haufen all jener kleinen Lichter, die immer den Kürzeren ziehen, wenn sie versuchen, gegen Erstere anzustinken. Arme Leute halt.

Hier ist es Klaus Pirrmayer, Ex-Ordnungshüter und Ehemann einer unter merkwürdigen Umständen zu Tode Gekommenen, der sich mit den Großkopferten in seiner Gemeinde anlegt. Nachdem er einem von ihnen in guter alter Van-Gogh-Manier ein Ohr abgesäbelt hat, wandert er für drei Jahre hinter Gitter, taucht aber sofort nach seiner Haftentlassung wieder auf und macht sich scheinbar einen Spaß daraus, die, welche ihn gern auf Nimmerwiedersehen losgewesen wären, allein durch sein Herumsitzen in den Cafés der Fußgängerzone auf die Palme zu bringen. In seinem Schlepptau: Ge-Li-Ka, das "Rolls-Royce-Mädchen auf der Golfhaube". Die hat mit allen was gehabt, die Pirrmayer schon die eigene Frau, die aus besseren Verhältnissen kam, nicht gönnten. Und die nun die Zähne fletschen angesichts der Tatsache, dass dieser Taugenichts sowohl finanziell - er hat seine betuchte Frau beerbt und wohnt nun allein in ihrem Haus - als auch sexuell wieder auf die Butterseite gefallen zu sein scheint.

Doch Kaufmann, Bankdirektor, Lehrer und Archivar - locker gehört noch der Künstler, der seine Einohrigkeit inzwischen gewinnbringend vermarktet, zu diesem quartett infernale - verfügen natürlich über Möglichkeiten, dem Spuk ein Ende zu bereiten. Hat man erst einmal gemordet, um das Aufkommen von Gerüchten um jenen seltsamen Unfalltod der Cordula Pirrmayer zu verhindern, kommt es auf ein oder zwei Verbrechen mehr auch nicht an.

Am Ende leben schließlich nur noch die Allereinfältigsten. Aber der Schein trügt. Denn in einem als komplett meschugge geltenden Stadtstreicher und der zu einer gefährlichen Schönheit heranwachsenden jüngeren Schwester eines der Mordopfers bleibt nicht nur die Erinnerung an das Geschehene wach, sondern auch Zorn und Rachegelüste, die auf ihre Stunde warten.

Es fällt schwer, Arme Leute ein Etikett aufzudrücken. Rudolphs Roman ist weder richtig hard boiled noch veranstaltet er das gute alte Täterquiz im Landhausstil. Nein, hier ist ein Autor am Werk, der abgeklärt auf unsere Wirklichkeit blickt und weder mit Klischees liebäugelt, noch falsche Hoffnungen zu erwecken gedenkt. Deshalb kommt am Ende alles raus, aber nichts ändert sich. Der Sieg der Gerechtigkeit wird bloß in die Zukunft verschoben. Aber selbst wenn er eines Tages stattfinden sollte - auch da wird es sich gewiss um keine saubere Sache handeln.


© 2010 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


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