Home
Kurse
Termine
Lektorat/ Korrektorat
Webdesign
Links
Rezensionen
Kontakt
Impressum
www.text-und-web.de
Weiterbildung/ Text-Management/ Design
Dieter Paul Rudolph:
Menschenfreunde

Berlin: Shayol Verlag 2008
215 Seiten
ISBN 978-3-926126-81-8
Im Wendekreis des Bildungsbocks




Bildung ist ein hohes Gut. Wenigstens steht sie häufig in den Sprechblasen über den Köpfen unserer einschlägigen Politikerdarsteller. Und es wird viel Geld ausgegeben, um sowohl Menschen, die "bildungsfern" aufgewachsen sind, als auch jene, die ihrer Jobs verlustig gingen, mittels Bildung erstmals oder wieder in Arbeit zu bringen. Außerdem - böse Zungen behaupten: vor allem - haben diese "Maßnahmen" noch einen höchst angenehmen Nebeneffekt: Sowohl das Heer jener, die monatelang Umschulungen besuchen, als auch die Bataillone von Umschulern, die vom Bewerbungstraining bis zu C++ allerhand Nützliches seminaristisch verticken dürfen, belasten nicht die Arbeitslosenstatistik. Und so darf manch Blauäugiger am Horizont schon wieder ein Säkulum der Vollbeschäftigung heraufdämmern sehen.

Ist das ein Thema für einen Krimi? Ja, denn der Kampf um Jobs gebiert Ungeheuer. Um den freilich geht es in Dieter Paul Rudolphs Romanerstling Menschenfreunde nur am Rande - etwa wenn zu den Tätigkeitsmerkmalen einer Chefsekretärin fraglos deren regelmäßiger Bürobeischlaf mit dem Boss gezählt wird. Rudolph aber treibt das Spiel - wer einmal in dessen Mühlen geriet, weiß um die perfiden Regeln - in noch absurdere Höhen. Die Ungeheuer, die er vorführt, profitieren vom gesellschaftlichen Bildungshunger, ohne auch nur im Geringsten zu beabsichtigen, ihn wirklich zu stillen. Und das tun sie im großen Stil und scheinbar völlig legal. Wenn einem da nicht der Kragen platzen soll.

Tut er natürlich. Denn schließlich sind wir in einem Spannungsroman, keinem wohlmeinenden Sozialpamphlet. Leichen müssen also her. Skurrile Ermittler. Unkonventionelle Ermittlungsmethoden. Und jenes Gran Zynismus, welches die wackeren Helden aus der Frühzeit des Genres noch nicht besaßen, das aber heute unbedingt dazugehört, will man nicht zum Bruder Grimm des Genres regredieren. Dass vor dieser Gefahr - wenn sie denn überhaupt existiert - kaum einer in Deutschland so gefeit ist wie Dieter Paul Rudolph, wissen zumindest die Eingeweihten. Denn wer kennt all die Fallen, in die ein Anfänger leichtfertig tappen könnte, besser als der unermüdlich bloggende dpr, der seit Kurzem auch noch monatlich eine 20-seitige elektronische Zeitschrift herausgibt, mit deren Hilfe er die Klärung der wirklich letzten Fragen zum weiten Feld des Kriminalromans anstrebt.

Allein nicht jeder, der theoretisch zu brillieren versteht, bewältigt auch die leidliche Praxis. Vorsicht ist deshalb immer geboten, wechselt einer die Seiten. Im Falle der Menschenfreunde darf hier Entwarnung gegeben werden. So wenig, wie deren Autor als Genrefachmann zu verquaster Ausdrucksweise neigt, so selten vergreift er sich auch als "Weltenschöpfer" im Ton. Dass die in einer Nebenrolle kurz auftretende Katze Nora eine Seite später plötzlich den Namen Nina trägt oder von Vögeln behauptet wird, sie hielten ihre Mäuler, wo unsere geflügelten Freunde doch eindeutig Schnäbel haben, müssen wir ihm zwar ankreiden, weil uns schiefe Bilder und Nachlässigkeiten des Lektorats - auch im Krimi, der alles, nur nicht die Lizenz zum sprachlichen Schludern hat! - immer aufregen, neigen aber das Haupt vor der Chuzpe Rudolphs, wenn der vorbeugend schreibt: "In Büchern gab es auch immer beabsichtigte Druckfehler. Nur der ironische Umgang mit dem Makellosen gibt dir ein Gesicht, wußte er. Wenn Du keine Schwächen mehr hast, bist du tot."

Menschenfreunde ist fein - oder sagen wir ruhig: raffiniert - erzählt. Es profitiert vom galligen Humor seines Autors, der sich auf der Klaviatur von Scherz, Satire, Ironie und bitterem Sarkasmus gut auskennt. Und nebenbei natürlich auch noch in der Funktion von Bildungswerken wie jener Saarbrücker Firma I&B, in der der Bildungsbock zum Gärtner gemacht wird. Bei allem Ernst - manche Seiten gegen Ende lesen sich wie ein entlarvendes Traktat über Praktiken, mit denen sich hierzulande fleißig in die eigene Tasche gelogen wird - vergisst der Roman dennoch nie, dass man sich von ihm auch unterhalten fühlen und ein bisschen miträtseln will, wer denn nun und aus welchem Grund die weiland Chefsekretärin stranguliert und ins unterste Schrankwandfach gepackt hat. In dieser Hinsicht nimmt die Geschichte gegen Schluss noch ein paar Wendungen, die wunderbar überraschend und bitter pointiert sind - wirklich Klasse!

Wie übrigens auch der Fußballtrainer Matthias Lanhoff, ein Held, an den man sich erst mühsam gewöhnen muss, ehe man ihn fast liebgewinnt. Er löst am Ende die Rätsel um die ermordete Sekretärin, den verschwundenen Firmengründer und all jene seiner Handlanger, denen mit tickenden Weckern, schmutzigen SMS und brutalen Übergriffen durch aufgehetzte Hauptschüler das Leben zur Hölle gemacht werden soll. Dass es erst dieses belesenen Zynikers und menschenverachtenden Schleifers bedarf, um das Dickicht aus scheinbar menschenfreundlichen Absichten, brutalem Konkurrenzkampf, fehlgeleiteten Fördergeldern und sich gegenseitig reinwaschenden Händen halbwegs zu durchdringen, wirft zudem ein neues Licht auf den aktuellen Stand im Rennen zwischen Verbrechen und Bestrafung. In dessen Schein zeigt sich eine Welt, die, wie Rudolph in seiner Nachbemerkung schreibt, durch nichts mehr als die "üblichen Schweinereien" zusammengehalten wird. Allein der Fantasie kann da noch ein Happy End gelingen. Die Wirklichkeit geht ohne aus.



© 2008 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


Lesen Sie bitte hier meine letzten Rezensionen

Zum Seitenanfang
Zur Startseite