Home
Kurse
Termine
Lektorat/ Korrektorat
Webdesign
Links
Rezensionen
Kontakt
Impressum
www.text-und-web.de
Weiterbildung/ Text-Management/ Design
Die aktuelle Rezension
(Oktober 2009)

Christine Lehmann:
Mit Teufelsg'walt
Hamburg: Argument Verlag 2009,
285 Seiten
ISBN 978-3-86754-179-4
"Ein Scheißtag fürs Jugendamt!"




Mit Teufelsg'walt ist der achte Kriminalroman um die Schwabenreporterin Lisa Nerz. Die ist vom Mond, wohin sie Christine Lehmann zuletzt geschickt hatte, nach Stuttgart zurückgekehrt und bekommt es nun prompt mit höchst irdischen Problemen zu tun. Das beginnt mit einem ruhestörenden Tumult zu fast noch nachtschlafener Zeit in der Wohnung über der ihren und endet damit, dass Lisa in eine lebensgefährliche Konfrontation mit Tätern hineinschlittert, die weder Moral noch Skrupel kennen.

Aber eins nach dem anderen. Natürlich mischt sich Lehmanns Heldin ein, wenn Vertreterinnen des Jugendamts im Morgengrauen in der Nachbarschaft für Unruhe sorgen, um einen fünfjährigen Jungen seiner Familie zu entreißen, denn Einmischung gehört zu der von ihr praktizierten Art der Mitmenschlichkeit. Und hellhörig wird sie auch, wenn ihr "Lebensabschnittsirrtum", Staatsanwalt Dr. Richard Weber, plötzlich mit einer aufgedonnerten Karrieretussi, die sich bei näherem Hinsehen als Familienrichterin entpuppt, auf Du und Du zu sein scheint. Ist es doch just jene Sonja Depper, auf deren amtliche Anweisung hin das unschuldige Nachbarskind "in Obhut genommen" und "neu beeltert" werden sollte. Womit sich bereits auf den ersten zwanzig Seitens des Romans Knotenpunkte einer Realität miteinander vernetzen, die Lisa Nerz fortan immer näher auf den Leib rücken wird, jener des Lebens von Kindern im heutigen Deutschland nämlich.

Zunächst erwischt es freilich die allzu taffe Richterin. Damit hat der Krimi seine Leiche. Was auf den ersten Blick wie ein tragischer Unfall anmutet, erweist sich bald als eiskalt durchgeführter Mord - und es wird nicht der einzige bleiben. Weil bei der Toten nicht nur viele Fäden zusammenlaufen, sondern auch ein weiblicher Säugling gefunden wird, den bis zum Ende des Romans Anwalt Weber mehr als liebevoll unter seine Fittiche nimmt, sind Lisa und ihr Lover gezwungen, immer tiefer in ein kompliziertes System einzutauchen, das Heranwachsenden in prekären Verhältnissen bei all dem zu helfen vorgibt, was das Grundgesetz ihnen unterschiedslos zusichert. Freilich steht die Art und Weise, wie Jugendämter und verschiedene dubiose Organisationen und Stiftungen dabei vorgehen, in keinem Verhältnis zu dem hehren Ziel, dem sie sich verpflichtet haben. Oder, um mit Christine Lehmanns Lexikon auf zwei Beinen, Richard Weber, zu sprechen: " ... in den bösen Taten zeigt sich der Teufel, in den guten versteckt er sich."

Mit Teufelsg'walt rückt kaltherzigen Beamten auf die Pelle, denen sinnloser Aktionismus lieber ist als der Vorwurf, durch Nichtstun zu den familiären Katastrophen beizutragen, die unsere Gesellschaft von Zeit zu Zeit erschüttern. Der Roman dokumentiert, wie leicht es dabei dubiosen Anbietern von Heimplätzen, Ersatzeltern und pseudopädagogisch aufgeladenen Seminaren zur Vorbeugung von Kindsmisshandlungen fällt, materielle Vorteile für sich selbst herauszuschlagen. Und wie wenig der Gesetzgeber dazu tut, den wirklichen Ursachen von Kinder- und Jugendkriminalität auf die Spur zu kommen.

Zahlreich sind die eruierten Fakten, die die Autorin in ihren Roman einfließen lässt und an nicht wenigen Stellen fühlt man ihn fast hautnah, den heiligen Zorn, der Christine Lehmann gepackt haben muss, als sie für dieses Buch recherchierte. In dem Bemühen, alles offen und auf den Tisch zu legen, geht sie dabei gelegentlich auch ein bisschen zu weit, degradiert auftretende Figuren zu bloßen Stichwortgebern und vergisst, dass es nicht nur Bürokraten und korrupte Beamte sind, die sich der vielen benachteiligten und verarmten Kinder annehmen, die mitten unter uns leben. Aber Literatur darf natürlich übertreiben und einem so engagierten und blendend geschriebenen Kriminalroman wie dem vorliegenden sollte niemand zürnen, wenn er um der Aufklärung Willen mehr Schmutz aufwirbelt, als tatsächlich vorhanden sein mag. Dass er zudem noch witzig ist, funkelnde Dialoge enthält und mit seiner Hauptgestalt zum wiederholten Mal voll ins Schwarze trifft, muss dabei fast nicht mehr erwähnt werden.


© 2009 by Dietmar Jacobsen/ Alle Rechte beim Autor


Lesen Sie bitte hier meine letzten Rezensionen



Zum Seitenanfang